Süddeutsche Zeitung

Manchester United:Die Hölle ist schon da

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Die Krise von Manchester United spitzt sich mit einem 2:3 gegen Galatasaray Istanbul in der Champions League zu. United-Trainer und Spieler zeigen eine erstaunliche Sorglosigkeit - und die Gala-Fans feiern ihr "Retro-Team".

Von Sven Haist, London

Willkommen zurück in der Hölle, Manchester United. Diesem Gedanken konnte sich nach der Niederlage des Klubs am zweiten Vorrundenspieltag der Champions League gegen Galatasaray Istanbul kein Leitmedium in England erwehren. Drei Zeitungen ( Times, Guardian, Independent) fingen sogar ihre Spielberichte auf diese Weise an. Der Satz war eine Anspielung auf das Zweitrundenduell beider Klubs im selben Wettbewerb vor drei Jahrzehnten, als United wegen der weniger erzielten Auswärtstore ausschied (Hinspiel 3:3, Rückspiel 0:0). Vor dem Match in Istanbul hatte der damalige Galatasaray-Trainer Reiner Hollmann angekündigt, United könne sich auf etwas gefasst machen.

Und tatsächlich wartete auf die Engländer eine infernalische Stimmung, die mehr abgründigem Fanatismus entsprach als überschwänglicher Leidenschaft. United-Coach Alex Ferguson sagte, dass er nirgends sonst im Fußball "so viel Feindseligkeit und Schikane ausgesetzt" gewesen sei. Auf dem berüchtigtsten Banner stand damals: "Wellcome to the Hell!" (sic)

Das Aus für United seinerzeit gilt im Nachhinein als Ausgangspunkt jener Spieler-Generation, die 1999 das Champions-League-Finale gegen den FC Bayern gewann. Manchesters 2:3 (1:1) vom Dienstag fühlte sich nun eher umgekehrt an, mehr wie ein Ende als ein Anfang - oder, um im Bild zu bleiben, wie die Hölle. Erstmals eröffnete der englische Rekordmeister nach der Auftaktpleite gegen die Bayern eine Königsklassenspielrunde mit zwei Niederlagen. Insgesamt hat United sechs der bisherigen zehn Pflichtspiele verloren und dabei 18 Gegentreffer kassiert - so viele wie seit 1966 nicht mehr.

Trainer ten Hag berücksichtigt erneut die Mentalitätsspieler Maguire, Evans und McTominay nicht

Trotz Dauerkrise galt zumindest das heimische Old Trafford lange als Energiequelle. Doch auf die Abfuhr von Crystal Palace in der Premier League am Samstag folgte das nächste Debakel. Wobei sich angesichts der Tausenden Gala-Fans im Stadion die Frage stellte, ob es überhaupt ein Heimspiel für United war. Die Gästefans entfachten einen ohrenbetäubenden Lärm; erst recht, nachdem Angreifer Mauro Icardi das Siegtor in der 81. Spielminute erzielte. Die in Vereinsfarben gelb-rot gekleidete Anhängerschaft bejubelte die Gala-Gala: Erstmals in der Historie siegte ihr Klub auf englischem Boden - und das nun auch noch zum eigenen Geburtstag. Am Sonntag wurde Galatasaray Istanbul 118 Jahre alt.

Die Zusammenstellung des Kaders von Trainer Okan Buruk erinnert im Kern an ein Retro-Team aus renommierten Spielern, die bei europäischen Spitzenklubs zuletzt nicht mehr richtig gefragt waren. Vorrangig kommen sie aus der Premier League. Fünf der elf Startspieler kickten einst für englische Erstligisten, der prominenteste heißt Wilfried Zaha. Der Werdegang des Linksaußen steht fast repräsentativ für seine Teamkollegen.

Zaha gelang bei Crystal Palace der Durchbruch im Profifußball, bevor er im Januar 2013 als letzte Ferguson-Verpflichtung bei United unterschrieb. Allerdings konnte er sich in Manchester nicht durchsetzen. Der Ivorer kam bloß auf vier Einsätze und ging wieder zu Palace. Um sich doch noch den Champions-League-Traum zu erfüllen, wechselte der heute 30-Jährige im Sommer nach Istanbul. Und traf bei seiner Rückkehr auf die Insel wie selbstverständlich gegen United (1:1/23. Minute). In den sozialen Medien schrieb Zaha später vieldeutig, dass "Gottes Timing das beste Timing" sei.

Seinem Treffer ging ein ebenso eklatanter Abwehrfehler des Gegners voraus wie den anderen Treffern. Trotz der zweimaligen Führung für United durch den Doppelpack von Angreifer Rasmus Höjlund (17./67.) konnte sich Galatasaray nach dem 2:2 durch Kerem Aktürkoğlu (71.) sogar den Luxus leisten, in Person von Icardi einen Elfmeter zu verschießen. Voraus ging der Aktion ein Platzverweis für Uniteds Casemiro, der nach einem schlimmen Abspielfehler seines Torwarts ein Foul im Strafraum beging.

Von diesem Rückschlag erholte sich das labile United nicht mehr, auch weil Trainer Erik ten Hag unverständlicherweise erneut die Mentalitätsspieler Harry Maguire, Jonny Evans und Scott McTominay nicht berücksichtigte. Die Sorglosigkeit des Trainers und seiner Spieler stand im Kontrast zur Einstellung der Gala-Akteure, die sich auf dieser Bühne unbedingt beweisen wollten. Mit vier Punkten befindet sich Galatasaray Istanbul auf dem zweiten Gruppenplatz. Der Achtelfinaleinzug erscheint realistisch. Und eines ist ohnehin garantiert: Zum Rückspiel gegen United wird in Istanbul die Hölle los sein.

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