Süddeutsche Zeitung

Manchester City:Ortega spielt sich nach vorne

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Mit Bielefeld stieg Stefan Ortega in die zweite Liga ab, bei Pep Guardiola ist er die Nummer zwei, zeigt aber auch beim FA-Cup-Sieg gegen Tabellenführer Arsenal eine starke Leistung. Manche Experten halten ihn gar für den besseren City-Torwart.

Von Sven Haist, Manchester

Unmittelbar nach Spielende fiel die Freude bei Stefan Ortega am größten aus. Während die meisten Profis des Manchester City Football Club den Einzug ins Achtelfinale des FA Cup gegen den FC Arsenal eher routiniert entgegennahmen, riss der im Sommer ablösefrei von Arminia Bielefeld zu City gewechselte Ortega die Arme nach oben. Seine Reaktion war gut nachvollziehbar: Das 1:0 (erzielt durch Verteidiger Nathan Aké in der 64. Spielminute) dürfte ihm als Ersatztorwart, der in den nationalen Pokalwettbewerben den Vorzug vor Stammkeeper Ederson erhält, mindestens einen weiteren Saisoneinsatz für Manchester City garantieren.

Vor dem Match galt in England die Aufstellung der beiden Trainer Pep Guardiola (City) und Mikel Arteta (Arsenal) als entscheidendes Kriterium, wer gewinnen würde. Die Ligapause an diesem Wochenende bot einerseits die Gelegenheit, zuletzt stark beanspruchte Profis zu schonen. Andererseits ging es um das Weiterkommen im Pokal und das Duell ließ auch einen Rückschluss auf die Kräfteverhältnisse in der Premier League zu. Dort führt Arsenal derzeit die Tabelle bei einem Spiel weniger mit fünf Punkten vor City an. Anders als Arteta, der etlichen Stammspielern eine Schaffenspause verordnete, nominierte Guardiola bis auf die Position des Torhüters seine vermeintlich stärkste Besetzung - wobei nicht wenige Fußballexperten auf der Insel finden, Ortega sei ähnlich gut wie der Brasilianer Ederson, vielleicht sogar besser. Und warum diese Meinung zunehmend an Popularität gewinnt, bewies der Deutsche am Freitagabend gegen Arsenal.

Mit erstklassigen Paraden bewahrte Ortega seine Mannschaft in der ersten Halbzeit vor einem Rückstand und sicherte in der Schlussphase die Führung ab, indem er einige vielversprechende Steilpässe des Gegners reaktionsschnell abfing. Die Manchester Evening News, das Hausblatt des Vereins, stufte die Leistung als "ausgezeichnet" ein, mit 8 von 10 Punkten erhielt Ortega nach Torschütze Aké die zweitbeste Bewertung - was gar nicht so einfach ist, wenn die Mitspieler Kevin De Bruyne, Erling Haaland oder Ilkay Gündogan heißen. Damit setzte Ortega seinen Konkurrenten Ederson unter Druck und machte zur Primetime vor einem Millionenpublikum beim frei empfangbaren Spiel im Fernsehsender ITV auf sich aufmerksam, vielleicht auch für andere Spitzenklubs.

Nach dem Bundesligaabstieg mit Arminia Bielefeld in der Vorsaison entschied sich Ortega nach zwölf Jahren bei den Ostwestfalen - unterbrochen durch drei turbulente Spielzeiten beim TSV 1860 München zwischen 2014 und 2017 -, sich einer neuen Herausforderung zu stellen. Jahrelang hatte ihn Manchester City beobachtet. Zunächst reizte den für einen Torwart nicht unbedingt groß gewachsene Ortega, 1,85 Meter, jedoch die Aussicht, mit seinem Jugendverein Arminia erstmals nach dem Aufstieg 2020 in der Bundesliga zu spielen.

Die Rolle des Reservetorwarts bei City füllte stattdessen der US-Amerikaner Zack Steffen aus. Dieser leistete sich allerdings in der Vorsaison beim Halbfinal-Aus gegen Liverpool im FA Cup einen haarsträubenden Schnitzer, als er einen Ball auf der Torlinie leichtfertig verstolperte. Daraufhin zog es ihn auf Leihbasis nach Middlesbrough, wodurch sich für den beliebten Ortega die nicht alltägliche Chance auftat, nach Manchester zu wechseln - nach über 250 Pflichtspielen in Deutschland, die meisten davon in der zweiten Liga.

Er könne schon "wegen des Trainingsniveaus" gar nicht schlechter werden, sagt Ortega

Im Gespräch mit der SZ erzählt Ortega, 30, dass der Wechsel für ihn bisher "so aufgegangen" sei, wie er sich das "erhofft" hatte. Er sei "wesentlich entspannter" geworden und rege sich "nicht mehr über jedes Gegentor im Training" auf. Worauf er dies zurückführe? Die Kluft zwischen seinen früheren Vereinen und seinem jetzigen Klub sei "derart groß", dass er durch seine Erfahrung die eigene Situation "sehr gut" einschätzen könne, sagt Ortega. Auch wenn er nicht mehr regelmäßig zum Einsatz komme (nachdem er zuvor in drei Saisons nur ein Pflichtspiel verpasst hatte), könne er schon wegen des hohen Trainingsniveaus "gar nicht schlechter" werden. Sein Ziel sei es anfangs gewesen, das Vertrauen zu rechtfertigen und zu zeigen, dass er nicht nur ein Torwart "von einem Absteiger" sei.

Im ersten Halbjahr hat Ortega sieben Pflichtspiele für Manchester bestritten, zwei davon in der Champions League, als das Weiterkommen des Klubs bereits feststand. Nur beim Aus im League Cup gegen Southampton sah er bei einem Gegentor nicht gut aus, er stand weit vor seinem Tor. Aber insbesondere sein Umgang mit dem Ball am Fuß sucht seinesgleichen. Vermutlich verfügt im Weltfußball einzig Landsmann Marc-André ter Stegen über ein vergleichbar ausgereiftes Passspiel. Dabei erinnert der Torhüter Ortega an einen Golfspieler, der den Ball punktgenau an jede Stelle auf dem Platz schlagen kann. Und das auf unterschiedlichste Weise: flach, hoch, schnell, langsam, mit der Innenseite, dem Vollspann, mit Effet und Unterschnitt.

Gegen Arsenal, das in Manndeckung verteidigte, war es seine Aufgabe, immer denjenigen Spieler in Szene zu setzen, der die vermeintlich größte Chance besaß, den Zweikampf zu gewinnen. Meist waren es Mittelstürmer Haaland und Spielmacher De Bruyne.

Ortegas seltene Fähigkeiten fallen langsam immer mehr auf, nicht nur seinem Trainer Guardiola, der ihn als einen "tollen Transfer" lobte. Sondern beispielsweise auch Oasis-Frontsänger Liam Gallagher, der auf Twitter kürzlich schrieb: "Ortega, absolut unglaublich". Nach seinem guten Einstand stellt sich die Frage, wie es für Ortega bei Manchester City weitergeht. Sein Vertrag läuft bis Juni 2025.

Selbstverständlich rechne er sich "immer etwas aus", sagt Ortega. Grundsätzlich fände er es "schön", wenn demnächst "Einsätze in der Premier League" dazukämen. Dies könne zwar dauern, ist er sich bewusst, kann aber auch schnell gehen. Und kaum jemand könnte das besser beurteilen als Stefan Ortega selbst - dessen Fähigkeiten viele Jahre weitgehend unbekannt blieben und ihn dann plötzlich zu einem der weltweit besten Vereine führten.

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