Süddeutsche Zeitung

Tabellenführer der Basketball-Bundesliga:Staunen über Ludwigsburg

Lesezeit: 3 min

Die MHP Riesen gehen nach einer Demonstration gegen die Bayern als Nummer eins in die BBL-Playoffs, obwohl der Klub vor der Saison seine vier besten Schützen verlor. Der Erfolg hat mit der Entwicklung der Nummer fünf auf der Liste zu tun.

Von Joachim Mölter

Es läuft für Jaleen Smith, und zwar so geschmeidig, dass man gar nicht weiß, zu was man ihn zuerst beglückwünschen soll: zur Geburt seines ersten Kindes, eines Jungen, vor knapp zwei Wochen? Oder zum größten Erfolg in der Geschichte der MHP Riesen Ludwigsburg, Platz eins nach der Hauptrunde der Basketball-Bundesliga (BBL), zu dem er so viel beigetragen hat, dass er nächste Woche aller Voraussicht nach zum Spieler des Jahres gekürt wird, zum "Most Valuable Player" (MVP)? Oder soll man lieber warten mit der Gratulationscour, für den Fall, dass Smith seine Mannschaft demnächst auch noch zum ersten deutschen Meistertitel führt?

Abwegig ist das nicht, auch wenn die Ludwigsburger Riesen angesichts der internationalen Auftritte des FC Bayern München und des nationalen Doublegewinners Alba Berlin in dieser Saison unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung liefen. Aber mit dem 91:77 über den FC Bayern am letzten Hauptrunden-Spieltag vollendeten die Riesen am Sonntag schon die zweite BBL-Saison nacheinander ohne Heimniederlage, und wenn sie diese Serie in den anstehenden Playoffs aufrechterhalten, ist ihnen der Titel nicht zu nehmen.

Platz eins nach der Hauptrunde wird ja mit einem durchgängigen Heimvorteil in den K.-o.-Runden belohnt - wer den Riesen die Meisterschaft streitig machen will, muss also mindestens einmal bei ihnen gewinnen. Und ihr Chefcoach John Patrick sagte neulich selbstbewusst beim TV-Sender Magentasport: "Wir sind heimstark, auch ohne Fans."

Smith selbst staunt über die MVP-Debatte: "Ich hätte niemals gedacht, Kandidat zu sein."

Über die Playoffs mag der 53 Jahre alte Amerikaner noch nicht allzu viel nachdenken, die fangen ja erst nach der Pokal-Endrunde an diesem Wochenende an. Aber was Jaleen Smith angeht, seinen 1,93 Meter großen Spielmacher, hat er eine klare Meinung: "Für mich ist er ohne Frage der Liga-MVP."

Smith selbst verfolgt diese Debatte eher staunend: "Ich hätte niemals gedacht, MVP-Kandidat in dieser Liga zu sein, das ist verrückt", sagte er unlängst der Ludwigsburger Kreiszeitung. Vor zwei Jahren spielte der 26-Jährige aus Freeport im US-Bundesstaat Texas ja noch in der zweiten Liga, bei den Academics Heidelberg; in Ludwigsburg fing er im Spätsommer 2019 mit einem befristeten Probevertrag an, der erst im Lauf der Spielzeit bis zum Saisonende verlängert wurde.

Welche Wertschätzung sich Jaleen Smith in kurzer Zeit erspielte, lässt sich leicht belegen: Die Ludwigsburger Riesen hatten schon 2019/20 die beste Saison ihrer Klubgeschichte mit Platz zwei in der wegen der Corona-Pandemie abgebrochenen Hauptrunde und dem Einzug in die Endspiele beim Finalturnier in München, die sie dann knapp gegen Alba Berlin verloren. Im Sommer wurden ihnen dann ihre vier besten Schützen abgeworben: Khadeen Carrington und Nick Weiler-Babb wechselten zu Euroleague-Teams nach Vitoria-Gasteiz bzw. München, Marcos Knight ging nach Monaco und verhalf dem AS gerade zum Gewinn des Eurocups, dem zweitwichtigsten Wettbewerb des Kontinents; und Thomas Wimbush nahm ein gut dotiertes Angebot aus der Türkei an.

Aber für Coach John Patrick hatte "die Vertragsverlängerung mit Jaleen die höchste Priorität", wie er erklärte. Auch Smith, der fünfte Mann in Ludwigsburgs Top-Scorer-Liste, hätte sich verändern können, Virtus Bologna war an seinen Diensten interessiert, angeblich auch Hapoel Jerusalem, und dem Vernehmen nach hätte er überall deutlich mehr verdienen können. Doch Smith blieb noch ein Jahr bei den Riesen, weil ihm Patrick eine Führungsrolle anbot. "Das kannte ich so noch nicht in meiner Karriere. Einer der Go-to-Guys im Team zu sein, war das, was ich wollte. Das war ein Hauptgrund, wieso ich in Ludwigsburg geblieben bin", erklärte er der Kreiszeitung.

Smith wirbelt so lange auf dem Parkett wie kein anderer Profi in der BBL

Nun ist Jaleen Smith also der Dreh- und Angelpunkt einer Mannschaft, in der Spieler aller Altersklassen stehen, mit dem 39 Jahre alten Tremmel Darden und dem 17 Jahre alten Jacob Patrick, dem jüngsten Sohn des Trainers, als Eckpunkte. In diesem Ensemble wirbelt Smith so lange auf dem Parkett herum wie kein anderer BBL-Profi, durchschnittlich 33:44 Minuten pro Partie.

Er gehört zu den besten Punktesammlern der Liga mit 15,7 Zählern, dabei zieht er wahlweise zum Korb mit seinen schnellen Schritten, oder er trifft aus der Distanz, wenn man ihm den Platz dafür anbietet. Er sammelt Rebounds ein, gibt Vorlagen, luchst seinen Gegenspielern häufig den Ball ab, verliert ihn aber nur selten.

Und weil er auch in der Abwehr Überdurchschnittliches leistet, personifiziert er die Spielphilosophie seines Trainers wie derzeit kein anderer. "John Patrick achtet sehr auf die Defensive", erklärt Smith, "und jeder weiß, dass ein Spieler, der in Ludwigsburg gespielt hat, automatisch einen besseren Ruf als Verteidiger bekommt." Patricks Augenmerk auf die Abwehr wurde auch in der Verpflichtung von Yorman Polas Bartolo, 35, deutlich, dem Deutsch-Kubaner, der während seiner Zeit in Bonn zweimal als "Bester Verteidiger der Liga" ausgezeichnet wurde, 2018 und 2019.

Jaleen Smith passt freilich noch in einer weiteren Hinsicht bestens in ein John-Patrick-Team: Der Coach steht seit Jahren im Ruf, mehr aus seinen Mannschaften herauszuholen, als in ihnen zu stecken scheint. Und auch in Smith schlummert offenbar noch mehr Potenzial als viele in ihm gesehen haben.

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