Süddeutsche Zeitung

Deutscher Kader:Spieler für zwei Nationalmannschaften

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer, München

Der Innenverteidiger Jonathan Tah hat eine erfolgreiche Saison hinter sich. Für Bayer Leverkusen stand er 33 Mal in der Bundesliga-Startelf, so oft wie nie. Er hat sogar drei Tore erzielt, so viele wie nie. Leverkusen hat sich auch dank seiner Qualitäten für die Champions League qualifiziert. Aber Tah, 23, hat eines seiner Ziele nicht erreicht. Man sollte aber dazusagen, dass das nicht so schlimm ist. Er hat sogar darauf hingearbeitet, dieses Ziel im Sommer erst mal zu verpassen.

Im vergangenen Oktober qualifizierte sich die U21-Nationalelf mit einem Sieg gegen Norwegen für die U21-Europameisterschaft in Italien im Juni. Tah, der Mannschaftskapitän, bereitete ein Tor vor. Am nächsten Tag war er in Amsterdam, um beim 0:3 der deutschen A-Elf gegen die Niederlande auf der Ersatzbank zu sitzen. Er sagte damals, dass Spiele für die U21 natürlich reizvoll seien und ihn motivieren. Er sagte aber auch: "Ich will den nächsten Schritt machen, dass ich nur noch oben dabei bin." Er ist nun trotzdem von U21-Bundestrainer Stefan Kuntz für das Turnier in Italien nominiert worden. Vorher wird er aber noch bei den EM-Qualifikationsspielen der A-Elf in Weißrussland und gegen Estland dabei sein. Er ist also immer noch ein Spieler zwischen zwei Mannschaften.

Es gehört zu den kniffligeren Aufgaben des Bundestrainers, seinen Kader zu nominieren, wenn fast gleichzeitig Turniere der Junioren stattfinden. Die Herausforderung für Joachim Löw und für Kuntz bestehe darin, "die richtige Balance zu finden", so wird Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff in der Mitteilung zitiert, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zur Kadernominierung verschickte. "Einerseits wollen wir wettbewerbsfähige Mannschaften präsentieren", sagte Bierhoff, andererseits müssten die Trainer immer auch die bestmögliche Weiterentwicklung der einzelnen Spieler im Blick behalten. Neben Tah steht auch Leipzigs Rechtsverteidiger Lukas Klostermann, 22, in beiden Kadern.

Den Präzedenzfall für dieses Dilemma schuf einst Piotr Trochowski, der 2006 sein Debüt unter Löw bei einem Freundschaftsspiel gegen Georgien feierte - und deshalb zwei EM-Qualifikationsspiele für die U21 verpasste, die daraufhin die EM 2007 verpasste. Welche Bedeutung so eine U21-EM haben kann, das weiß man in Deutschland spätestens seit 2009, seit Deutschland mit Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil das Turnier gewann - und fünf Jahre später die WM. Auch nach Italien reist der DFB als Titelverteidiger. 2017, als die A-Elf den Confed Cup gewann und die U21 im gleichen Sommer die EM, wurde auch schon debattiert, welches Talent in welchem Kader steht. Jonathan Tah fehlte damals wegen verletzter Adduktoren.

Nun ist es bekanntlich so, dass Löw an der Verjüngung der Nationalmannschaft arbeitet. Dass im aktuellen Kader Toni Kroos, 29, fehlt, liegt zwar wie bei Torhüter Marc-André ter Stegen an einer Verletzung, Kroos hat laut DFB Muskelbeschwerden, ter Stegen Knieprobleme. Doch es fällt trotzdem auf, wie viele Spieler er nominiert hat, die eigentlich auch Kuntz noch hätte berufen können: Verteidiger Thilo Kehrer, 22, sowie die Offensivspieler Julian Brandt, 23, Kai Havertz, 19, Leroy Sané, 23, und Timo Werner, 23. Auch deshalb war wieder kein Platz für Mario Götze, 26.

Und Tah, der bislang fünf A-Länderspiele bestritten hat? "Kennt diese Situation", sagt Löw. Er wolle den Verteidiger "ans höchste Niveau heranführen", aber er gehöre "in der U 21 zu den Stützen". Allerdings nur noch in diesem Sommer. Danach ist er dafür zu alt.

Das Aufgebot von Joachim Löw

Tor: Bernd Leno (FC Arsenal), Manuel Neuer (FC Bayern München), Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt)

Abwehr: Matthias Ginter (Borussia Mönchengladbach), Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann (beide RB Leipzig), Jonas Hector (1. FC Köln), Thilo Kehrer (Paris Saint-Germain), Nico Schulz (TSG Hoffenheim), Niklas Stark (Hertha BSC), Niklas Süle (FC Bayern München), Jonathan Tah (Bayer 04 Leverkusen)

Mittelfeld/Angriff: Julian Brandt, Kai Havertz (beide Bayer 04 Leverkusen), Julian Draxler (Paris Saint-Germain), Serge Gnabry, Leon Goretzka, Joshua Kimmich (alle FC Bayern München), İlkay Gündoğan, Leroy Sané (Manchester City), Marco Reus (Borussia Dortmund), Timo Werner (RB Leipzig)

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SZ vom 23.05.2019
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