Süddeutsche Zeitung

Leverkusen-Sieg gegen HSV:ICE rast Bimmelbahn davon

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Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Peter Knäbel ist kein Wunderheiler. Wer gehofft hatte, der 48-jährige Interimstrainer des Hamburger SV könnte gleich in seinem ersten Spiel den ewigen Bundesligisten erwecken, landete gleich mal hart auf dem Boden der Realität. Die Norddeutschen verloren bei Bayer Leverkusen 0:4 (0:2) - und konnten über die Höhe der Niederlage noch froh sein.

"Wir brauchen eine größere Präsenz und mehr Entschlossenheit im Strafraum", hatte Knäbel vor dem Spiel gesagt. Ein netter Plan, aber für eine Mannschaft im Abstiegskampf ist eine größere Präzision und mehr Entschlossenheit im Mittelfeld oft wichtiger - zumal dann, wenn ein Gegner wie Leverkusen nur darauf hofft, mehr Freiräume geschenkt zu bekommen.

Das wurde spätestens in der siebten Minute deutlich, als ein Leverkusener Befreiungsschlag bei Johan Djourou landete. Der HSV-Innenverteidiger leistete sich zunächst kurz vor der Mittellinie eine schlampige Ballannahme, legte dann unpräzise quer auf seinen Kollegen Heiko Westermann. Das war alles, was Karim Bellarabi brauchte. Der Leverkusener ließ Westermann hinter sich wie ein ICE eine Bimmelbahn. Im Eiltempo näherte er sich dem HSV-Tor, legte am Strafraum quer auf den mit geeilten Gonzalo Castro, der gemütlich zum 1:0 vollenden konnte (63.).

Der Werksklub schaute sich danach gelassen an, was die Gäste zu bieten hatten. Es war nicht viel. Bezeichnend zwei Momente, in denen der Zerstörer Valon Behrami kreativ ins Spiel eingreifen wollte: In der zwölften Minute nahm er dem schussbereiten Petr Jiracek am Strafraum den Ball vom Fuß; in der 39. Minute dauerte es zu lange, bis Behrami den Steilpass auf Ivica Olic auf den Weg brachte - bis dahin war der Kroate längst ins Abseits geraten. Vom "Steigerungslauf Richtung Top-Form", den Knäbel im Training bei seinen Stürmern Olic und Pierre-Michel Lasogga ausgemacht hatte, war jedenfalls nichts zu sehen.

Leverkusen, das sich vier Tage vor dem Pokal-Viertelfinale gegen Bayern München den Luxus erlaubte, auf Calhanoglu, Son und Drmic zu verzichten, wirkte zwar nicht unbedingt sattelfest in der Abwehr. Aber gegen den notorisch harmlosen HSV war das egal. Nach vorne hatte der Tabellenvierte weniger Szenen, als man nach der frühen Führung hätte annehmen können. Ein Flatterball von Bellarabi, den Adler entschärfte (28.), war lange das einzig Nennenswerte, zumal Sturmspitze Stefan Kießling wieder einmal nicht so richtig ins Spiel integriert war.

Aber solche Resümees werden vom Fußball gerne konterkariert. In der 44. Minute klärte Heiko Westermann per Kopf, scheinbar weit genug, doch Castro entschied sich zu einer Volley-Flanke, bevor der Westermann die Stürmer ins Abseits stellen konnte - und Kießling hechtete nach dem Ball, wie er es in besseren Tagen so oft gemacht hat, mit dem Kopf verlängerte er zum 2:0.

Das war schon die Entscheidung in diesem ungleichen Duell. Die Frage war nur, ob Leverkusen gnädig sein würde; und ob der HSV sich wieder selbst zerlegen würde wie etwa beim 0:8 in München. Die Antworten lauteten: halbwegs. Und ja.

Nach einem Sprint von Lars Bender an der Auslinie, bei dem der Kapitän Westermann lächerlich aussehen ließ und Adler gegen Castro rettete, traf Kießling im Nachschuss zum 3:0 (56.). Und nach einer weiteren feinen Kombination über Bellarabi durfte Castro aus acht Metern zum 4:0 abschließen.

Der HSV hatte zwar versucht, so körperlich zu spielen wie im Hinspiel, als man den Gegner gefühlt 400 Mal foulte und mit einem glücklich 1:0 gewann. Diesmal aber entzog sich Leverkusen den meisten Zweikämpfen elegant dank Schnellig- und Genauigkeit und kam zu mehr als einem Dutzend bester Gelegenheiten, bei denen entweder Adler oder der Pfosten im Weg standen. Es bestand mehr als ein Klassenunterschied zwischen den Teams.

Nach 65 Minuten stimmten die Hamburger Fans kurz den alten "Wir ham die Schnauze voll"-Evergreen an. Dann stellten auch sie die Arbeit ein an diesem Nachmittag, der unterstrich, was vielleicht die einzige HSV-Hoffnung dieser Saison sein wird: dass mindestens zwei andere Bundesligisten schlechter sein werden als der Traditionsverein.

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