Süddeutsche Zeitung

Leroy Sané beim FC Bayern:Rückwärts beschleunigen

Lesezeit: 4 min

Das erste halbe Jahr von Leroy Sané beim FC Bayern war kein rundum gelungenes. Nun versucht er auch beim Spiel auf Schalke, seine Kritiker zu widerlegen: mit Eifer und etwas Demut.

Von Sebastian Fischer, München

Was die zwei Tage gemeinsam hatten, war zum Beispiel das ungemütliche Wetter, und das ist nicht ganz unerheblich. Denn immer, wenn die Umstände ungemütlich sind, geht es schnell um die sogenannte Mentalität eines Fußballers. Auch bei Leroy Sané.

An dem einen Tag, am 2. Juni 2018 in Klagenfurt, waren Regen und Hagel so stark, dass der Test der deutschen Nationalmannschaft gegen Österreich um fast zwei Stunden verschoben wurde. Deutschland verlor 1:2. Sané dribbelte dabei auf dem linken Flügel schnell und versiert, aber er dribbelte nicht immer so, wie es der Mannschaft am besten half. Zwei Tage später strich ihn Bundestrainer Joachim Löw aus dem WM-Aufgebot. Von allzu lässigem Auftreten im Trainingslager war die Rede.

Der andere Tag war der Sonntag vor einer Woche in München, als es schneite. Der FC Bayern schlug Freiburg mühsam 2:1. Kurz vor Schluss spielte Sané einen Fehlpass, bevor er über den halben Platz sprintete, um sich den Ball zurückzuholen. Danach sagte Trainer Hansi Flick: "Das war das, was wir und die Mannschaft von Leroy sehen wollen."

Sané, 25, ist nun seit einer halben Bundesligasaison ein Bayern-Spieler. Seit etwa einem halben Jahr ist er nach seinem mit langem Anlauf geplanten, rund 45 Millionen Euro teuren Transfer von Manchester City zurück in Deutschland. Seitdem gleicht es einer wöchentlichen Seifenoper, wie man verfolgen kann, ob einer der spektakulärsten Fußballer des Landes seine Rolle beim deutschen Rekordmeister findet. Es ist eine Geschichte, bei der man im Hinterkopf immer auch den Sommer 2018 mitdenkt, als Sané als der verschmähte Künstler galt, während die Nationalelf die WM in Russland vergeigte. Bevor die Münchner nun am Sonntag beim FC Schalke 04 in die Rückrunde starten, bei Sanés Jugendverein, ist diese Geschichte im Begriff, eine interessante Wendung zu nehmen.

Im ersten Spiel gegen Schalke hatte die Saison für ihn ausgezeichnet begonnen. Beim 8:0-Sieg schoss er ein Tor und bereitete zwei vor, es war schon vom neuen Flügelduo mit Serge Gnabry die Rede, in München und in der Nationalelf. Doch dann war Sané zum ersten Mal angeschlagen, Kapselverletzung im Knie. Kingsley Coman war auf dem Flügel in herausragender Form. Und Sané stand gleich mal im Fokus der öffentlichen Kritik.

Er wusste das natürlich, als er sich nach vier Jahren in der Premier League zur Rückkehr in die Bundesliga entschied: Dass man jeden seiner Übersteiger, aber auch jeden Ballverlust in der Superzeitlupe betrachten würde. Dass er Zeit brauchen würde, um die Nachwirkungen eines Kreuzbandrisses aus dem August 2019 zu verarbeiten. Und er ahnte, dass er sein Spiel würde umstellen müssen im Vergleich zum extremen Ballbesitzfußball in Manchester unter Trainer Pep Guardiola.

Aber eine so strapaziöse Saison mit derartigem Fokus auf Defensivarbeit beim Triple-Sieger, wie es die 25 Gegentore der Hinrunde erforderten? In einer Mannschaft, mit der er den Status der Allesgewinner zu verteidigen hat, statt diesen Status gemeinsam mit ihr erreichen zu können? Nein, so hatte Sané das im Sommer natürlich eher nicht vorhersehen können.

Vier Bundesliga-Tore hat Sané bislang für die Bayern geschossen, fünf vorbereitet, oft kam er erst von der Bank. Manche Aktionen waren von vorzüglicher Klasse, ein Treffer gegen Dortmund zum Beispiel: Da zog er mit dem linken Außenrist nach innen und schloss mit dem linken Spann ab, als das Nach-innen-Ziehen eigentlich noch gar nicht vorbei war. Doch am meisten beachtet wurde das letzte Spiel vor Weihnachten, auswärts in Leverkusen, als Flick ihn nach 32 Minuten ein- und nach 68 Minuten wieder auswechselte. Vor allem in der Defensivarbeit, die in Flicks System elementar schon mit möglichst fleißigem Verteidigen der Angreifer beginnt, hatte Sané nicht überzeugt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte danach, Sané müsse seinen Charakter noch an den FC Bayern anpassen.

In dieser Woche, rund einen Monat nach Rummenigges Worten, erschien ein Interview mit Sané im Spiegel, in dem er auf sein Image eingeht, jenes als angeblich abgehobener Künstler. Und er spricht über die oft gleichlautende Kritik an ihm: Er habe "das Gefühl, dass auf mich anders geschaut wird als auf andere". Er habe zum Beispiel zu Hause "keine Diamanten, Goldketten und solches Zeug rumliegen", aber "trotzdem stecken mich die Leute in diese Bling-Bling-Schublade". Im Frühjahr 2019 war Sané zu einem Länderspieltermin in einer sehr bunten Lammfelljacke erschienen. Manche Medien rechneten danach den Preis seines Outfits hoch. "Ich liefere den Menschen mit solchen Auftritten offenbar Stoff, obwohl ich das gar nicht will. Von daher muss ich mich natürlich selbst hinterfragen", sagte er jetzt - und zur Kritik von Rummenigge im Dezember: "Ich muss mich bei Bayern eben erst noch richtig beweisen. Ich weiß, dass der Klub hinter mir steht, sonst hätte man mich ja nicht geholt."

Ein Fußballer, der Sané laut eigener Aussage "enorm gut" kennt, ist Ilkay Gündogan. Gemeinsam spielen sie seit Jahren im Nationalteam, vier Jahre spielten sie zusammen bei Manchester City, sie lebten sogar in einem Haus. Gündogan hat in England gerade auch alle paar Tage ein Spiel und natürlich viel zu tun, doch er lässt auf Nachfrage ausrichten, dass er verfolge, wie aufgeregt in Deutschland über Sané diskutiert werde, besonders seit dem Spiel in Leverkusen. "Das ist keine einfache Zeit für ihn, aber niemand sollte daran zweifeln, dass er früher oder später auch einem Verein wie dem FC Bayern enorm weiterhelfen wird", sagt Gündogan. Außerdem, findet er, "ging zuletzt die Formkurve bei Leroy schon wieder deutlich nach oben".

Sané war es wichtig, dass ihn seine Bayern-Kollegen in Leverkusen verteidigten. Thomas Müller sagte im TV-Interview, dass Sané diese "harte Nummer wegstecken" werde: "Es macht es für ihn nicht leichter, dass wir aktuell - nicht wie im Sommer - sehr viel kämpfen müssen und sehr ungenau spielen", betonte Müller. "Deswegen, glaube ich, wird sich diese Wolke bald in Luft auflösen."

Als sich im neuen Jahr zuletzt allerdings erst mal keine Wolke auflöste, sondern der Fußball beim Tabellenführer gezwungenermaßen nach den zwei Niederlagen in Mönchengladbach in der Liga und im Pokal in Kiel erst mal noch etwas kämpferischer wurde als zuvor, da waren manche Beobachter wohl durchaus etwas überrascht, Leroy Sané gegen Freiburg auffällig mitkämpfen zu sehen. Kollege Leon Goretzka sagte: "Heute hat er eine super Mentalität an den Tag gelegt."

Nun muss niemand erwarten, dass die Grätsche in Sanés Repertoire der neue Übersteiger werden könnte. Und es wird für ihn auch nicht leichter. Gerade scheint Trainer Hansi Flick besonders der Stammelf der Vorsaison zu vertrauen. Aber auch Flick hält viel von Sané. Genauso wie natürlich Flicks langjähriger Vorgesetzter beim DFB.

"Der Bundestrainer hatte seine Gründe", sagte Sané über die Entscheidung von Joachim Löw, ihn nicht mit zur WM 2018 zu nehmen. "Und ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihm."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5183259
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.