Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Eine Manege auf dem Festplatz

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Die Ausrichter des Diamond-League-Finals in Zürich zeigen, wie die Leichtathletik noch immer beim Publikum ankommen kann. Das erzählt auch einiges über die Innovationskraft und die Erfolge einer kleinen Sportnation.

Von Ewald Walker, Zürich

Das Ambiente am Sechseläutenplatz, direkt am Züricher See, ist beachtlich an diesem lauen Sommerabend: ein Laufsteg für die Stabhochspringerinnen, ein Ring für die Muskelmänner mit den Eisenkugeln, eine 563 Meter lange mobile Kunststoffbahn mit erhöhten Kurven für die Langstreckenkönner. Selbst die vollen Tribünen sind gewissermaßen aus dem Stadion am Zürcher Letzigrund ausgezogen.

Es ist, als käme ein Zirkus in die Stadt - nur dass es sich bei den Artisten um die weltbesten Leichtathleten handelt, die sich für das Finale der Diamond-League-Serie qualifiziert haben. Die Zürcher haben das Programm in diesem Jahr wieder geteilt: 26 Disziplinen am Donnerstag im traditionsreichen Letzigrund, sechs am Mittwoch in der Innenstadt. Den Sport in die Städte zu tragen, das ist kein neues Konzept, aber die Diamond League - immerhin die höchste Meeting-Serie der Leichtathleten - hat Jahre gebraucht, um sich diesen zirzensischen Charakter einzuverleiben. Und wie das einen oft als angestaubt wahrgenommenen Sport vitalisieren kann, lässt sich in diesen Tagen bestens in der Schweizer Metropole besichtigen.

"Wir sind damit eine große Werbung auch für die Stadionleichtathletik", sagt Kugelstoßer Joe Kovacs

Die Menschen, die über zwei Brücken in den Innenraum hereinkommen, um von Anlage zu Anlage wandern zu können, sind gut gekleidet, sie kommen direkt aus den Büros. "Kommen Sie herein und erleben Sie Geschichte", tönt der Stadionsprecher, während die Menschen an der Seepromenade sitzen, den Feierabend genießen - oder hereinkommen. Weltklasse für kostenfreien Eintritt, diese Offerte wird gerne angenommen. 7000 Zuschauer und ein Laufpublikum am Rande erleben, wie der WM-Zweite Joe Kovacs aus den USA die 7,26 Kilo schwere Kugel auf Weltjahresbestweite von 23,23 Meter wuchtet. Es ist der zweitweiteste Stoß der Geschichte, nur Olympiasieger Ryan Crouser, Zweiter an diesem Abend, hat bei seinem Weltrekord 14 Zentimeter weiter gestoßen.

Solch eine Manege ist natürlich auch prädestiniert für Schaumänner wie Gianmarco Tamberi, den Hochsprung-Olympiasieger aus Italien, der am Mittwoch mit dem Publikum seine Hochzeit in der Vorwoche nachzufeiern scheint. Tamberi schafft es, 7000 Menschen zum Schweigen zu bringen, dann zur Ekstase, als er 2,34 Meter schafft. 30 000 Euro und einen Diamanten gibt's als Prämie, keine schlechte Zugabe, um eine rauschende Vermählung zu finanzieren.

"Das hier ist ja eine außergewöhnliche Präsentation unseres Sports", zeigt sich Kugelstoßer Kovacs vom Ambiente angetan: "Wir sind damit eine große Werbung auch für die Stadionleichtathletik." Weil es in den USA solche Meetings nicht gibt, will er zuhause versuchen, Kugelstoßen in Fitnesszentren und auf Parkdecks zu etablieren. Abseits der traditionellen Kraftzellen, wie es Zürich für die Leichtathletik ist, begeistert Olympias Kernsport ja längst nicht mehr so selbstverständlich wie einst. "Unser Sport kann nur überleben, wenn er innovativ ist", kommentierte Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, bereits die erste Auflage von Markt und Manege in Zürich im Vorjahr.

Diesmal künden Blitz und Donner das Finale der abendlichen Vorstellung an: Die 5000 Meter-Läufer rennen auf der mobilen Bahn rund ums Opernhaus. Noch einmal brandet Jubel auf, als Dominic Lobalu, ein in der Schweiz lebender Athlet aus dem Südsudan, in 12:59,40 Minuten Zweiter wird, um 35 Hundertstel geschlagen.

Dass es ein Schweizer Standort ist, der mit derartigen Innovationen auffällt, ist kein Zufall: Rund um die Europameisterschaften 2014 in Zürich setzte der Nationalverband Swiss Athletis ein neues Konzept aufs Gleis. "Wir haben vor mehr als zehn Jahren die Leichtathletik wieder in die Schulen zurückgebracht und dann mit einer systematischen Nachwuchsförderung unsere Sportart nach vorne gebracht", sagt Andreas Hediger, einer der Direktoren des Zürcher Meetings.

Während in Deutschland der Kontakt zum Nachwuchs verlorengeht, setzen die Schweizer neue Konzepte auf

Und während Jürgen Kessing, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, nach dem enttäuschenden WM-Abschneiden zuletzt konstatierte, man habe den Zugriff auf den Schulsport verloren, verweist Hediger auf den UBS-Kids-Cup: einen neuen Nachwuchswettkampf, gefördert von einem der damaligen EM-Sponsoren, rund 1,9 Millionen Teilnehmer bis heute. Zwei Gesichter der heutigen Erfolge sind Kinder dieser Initiative: Sprinterin Mujinga Kambundji und Zehnkämpfer Simon Ehammer. "Danach kam es zur Professionalisierung und dem Bewusstsein, dass man auch als Schweizerin in der Leichtathletik Profi sein kann", stellt Kambundji heute fest.

Die Erfolge stehen für sich: Die Schweizer Leichtathleten gewannen drei Medaillen bei der Hallen-WM im vergangenen März, Kambundji war in Weltjahresbestzeit sogar die Schnellste über 60 Meter (6,96 Sekunden). In München waren sie mit sechs EM-Medaillen so erfolgreich wie nie zuvor. Im Vorjahr standen in Kambundji und Ajla del Ponte bereits zwei Schweizerinnen im olympischen 100-Meter-Finale. Zehnkämpfer Ehammer, in München bei den European Championships Zweiter hinter Niklas Kaul, stellte mit 8,45 Metern zuletzt einen Weltrekord innerhalb des Mehrkampfs auf, in Eugene gewann er auch WM-Silber im Weitsprung. Sieben Schweizerinnen und Schweizer fanden sich dort übrigens in einem Finale unter den besten Acht ein - und damit genauso viele wie aus dem rund drei Mal größeren deutschen Team.

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