Süddeutsche Zeitung

FC Barcelona:Ein schwer verzeihlicher Versprecher

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Dass beim FC Barcelona vieles nicht stimmt, beweist Trainer Ronald Koeman nach dem 1:1 gegen Granada. Über Nachfolge-Kandidaten wird bereits rege spekuliert - doch wieder erweisen sich die hohen Schulden als Problem.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Frage, ob das einst von einem TV-Reporter erfundene Wort "Tiqui-Taka" der angemessene Begriff ist, um jenen Fußball zu umschreiben, den der FC Barcelona und Spaniens Nationalelf einst gespielt haben, wird in der Fachwelt durchaus kontrovers diskutiert. Griffig ist das Wort, aber eben auch ein wenig zu lautmalerisch, nachgerade infantil, weil es eher nach Pippi Langstrumpf und Taka-Tuka-Land klingt als nach dem Kurzpass-Spektakel unter Barças früherem Trainer Pep Guardiola. Unfallfrei über die Zunge bringen sollte man das Wortkompositum aber schon - vor allem, wenn man gerade der aktuelle Barça-Trainer ist. Wie Ronald Koeman.

Montagnacht jedoch saß der Niederländer nach dem dünnen 1:1 gegen den FC Granada in der virtuellen Pressekonferenz - und er redete sich nicht nur, aber eben auch bei diesem Begriff um Kopf und Kragen. Koeman sagte: "Wenn du dir den heutigen Kader anschaust... glaubst du etwa, dass man da Tiki-taki spielen kann?" Tiki-taki! War da Freud im Spiel? Wollte Koeman in Wahrheit Sushi bestellen?

Sein Barça-Team hatte gegen Granada weder Tiki-taka noch Tiki-taki oder Taka-tuka gespielt. Die Anordnung der Reihen Barcelonas erinnerte an diesem Abend nicht mal an "Taca-Taca" - noch so eine schalllimitierende Wortschöpfung, die im fernen Chile für Tischfußball steht. Barça spielte vielmehr einen Fußball, der an das "patapum-pa`rriba" erinnerte - ein Begriff, der auf den baskischen Trainer Javier Clemente zurückgeht. Granada war früh in Führung gegangen, nach kaum mehr als anderthalb Minuten; danach prügelte Barcelona die Bälle bevorzugt lang und hoch und weit, also "patapum" (nach oben) in den Strafraum des Gegners, wo Luuk de Jong, Ronald Araújo und am Ende sogar Innenverteidiger Gerard Piqué standen und versuchten, Granadas Wall im Stile von Abrissbirnen zum Einstürzen zu bringen.

Mehr als 50 Flanken von links und rechts wurden bei Barcelona gezählt, so viele wie seit Mitte der Nullerjahre nicht mehr. Die späte Belohnung, wenn man sie so nennen mag, war in der 90. Minute der Ausgleich durch Araújo, per Kopf natürlich. Das zeugte zwar von Moral, blieb aber ein Verrat an der Essenz des spielerischen Barcelona-Stils. Und das wiederum bedeutet, dass das Verfallsdatum der 2020 begonnenen Amtszeit von Ronald Koeman sich dem Ende nähert. Koeman übrigens wurde zu seiner Zeit als Spieler "Tintín" genannt, nach dem gleichnamigen Helden des belgischen Comics, der in Deutschland unter dem Label "Tim & Struppi" bekannt ist, sich. Die Uhr macht in Barcelona gerade ziemlich laut tick-tack.

Joachim Löw ist eher kein Kandidat, Antonio Conte wohl zu teuer

In den örtlichen Medien werden eine Reihe von Namen gehandelt, die als mögliche Erben des glücklosen Trainers infrage kommen. Sogar über ein Engagement von Joachim Löw wird spekuliert, was angesichts der sehr deutlichen Ankündigung des früheren Bundestrainers, sich eher nach Timbuktu verziehen zu wollen als aktuell eine neue Arbeit anzutreten, wenig Fundament hat. Andere Optionen wie der Italiener Antonio Conte scheitern wohl am Geld: Barcelona plagen 1,3 Milliarden Schulden, und allein die Abfindung Koemans soll zwölf Millionen Euro verschlingen. Muss Tintín also doch bleiben?

Vorerst schon. Am Donnerstag spielt sein Team in Cádiz, am Sonntag gegen Levante. Sollte der Fünf-Punkte-Rückstand auf Spitzenreiter Real Madrid nicht weiter wachsen, dürfte Koeman danach in der Champions League nach Lissabon reisen und womöglich auch noch das Topspiel bei Atlético Madrid auf der Bank erleben - die letzte Partie vor der Länderspielpause.

Die Klubführung fahndet dennoch nach Möglichkeiten, Geldmittel zu mobilisieren. Laut der Zeitung Sport hat die Vereinsspitze bei ihrer jüngsten Sitzung das vergangene Geschäftsjahr gesplittet. Weil der FC Barcelona seit der Amtsübernahme des neuen Präsidenten Joan Laporta durch diverse Abschiede von Großverdienern des Kaders einen bilanziellen Gewinn ausweisen kann, könnte so wirtschaftlicher Spielraum für Abfindungen und Verpflichtungen entstehen. Das geschieht den Angaben zufolge mit dem Segen des spanischen Ligaverbandes LFP.

Als Wunschkandidat gilt laut As der belgische Nationaltrainer Roberto Martínez, der aber die Belgier keinesfalls vor der Anfang Oktober anstehenden Nations-League im Stich lassen will, was sich aber mit den oben genannten Terminen verträgt. Ein anderes Thema ist, dass Martínez eher nicht für Tiki-taka-Fußball steht. Aber er könnte immerhin seinen Co-Trainer Thierry Henry als Assistenten mitbringen. Sie nennen ihn "Tití".

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