Süddeutsche Zeitung

Randal Kolo Muani:"Der Junge kann durch die Decke gehen"

Lesezeit: 4 min

Frankfurts neuer Stürmer Randal Kolo Muani hat bereits gezeigt, dass er zu einer Attraktion der Bundesliga reifen kann. Über einen, der sich selbst als "loyal" bezeichnet und altruistische Züge besitzt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Oliver Glasner, Trainer bei Eintracht Frankfurt, hat zurzeit eine Reihe von Gründen, das Gesicht zu verziehen. Das Abwehrverhalten in der Anfangsphase bei Hertha BSC am Samstag, das zum Rückstand nach drei Minuten führte? "Desaströs." Der annullierte Elfmeterpfiff, der der Eintracht am Ende der Partie bei Hertha BSC die Chance auf das mögliche 2:1 nahm? "Ein spielentscheidender Fehler." Und überhaupt, diese Grundstimmung, die noch von der Euphorie des Europa-League-Sieges der vergangenen Saison getragen wird und den Blick auf die Realität verzerrt? Bah! "Wir sollten nicht immer über Europa sprechen, sondern auch darüber, dass wir in der vergangenen Saison Bundesliga-Elfter wurden", blaffte Glasner in Berlin. Doch als der Name des französischen Stürmers Randal Kolo Muani fiel, der nun in seinem ersten Startelfeinsatz für die Eintracht andeutete, dass er zu einer der größten Attraktionen der Liga heranwachsen kann, da lächelte Glasner: "Tolle Leistung."

Schon in seinen ersten beiden Spielen - beim desaströsen 1:6 zum Bundesliga-Auftakt gegen den FC Bayern und dem 0:2 im Supercup gegen Real Madrid - hatte Kolo Muani, 23, die Partien noch einmal neu tariert. Nicht, dass er die Niederlagen hätte abwenden können. Aber mit einem sagenhaften Tempo und einem formidablen Instinkt für Bewegungen, die den gegnerischen Abwehrreihen die Sicherheit nahmen, wölbte er auf den Tribünen eine Reihe von Augenbrauen. In der Bundesliga hat er schon die ersten Scorerpunkte gesammelt: Gegen die Bayern überrumpelte er Torwart Manuel Neuer und schoss ein Tor, am Samstag legte er Daichi Kamada das 1:1 gegen die Hertha auf.

Das war nicht die einzige Szene der Partie, in der eine vorzügliche, für einen Stürmer nicht selbstverständliche Qualität zum Vorschein kam. Kolo Muani ist ein Altruist, der aus der Vorbereitung von Treffern so viel Befriedigung zieht wie aus persönlichen Torerfolgen. Das alles summiert sich zu verheißungsvollen Prognosen - denn er ist im Grunde auf allen Positionen im Sturm einsetzbar, vorzugsweise zentral und rechts. "Der Junge kann durch die Decke gehen", sagt Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic.

Der seit einem Jahr in Berlin tätige Bobic ist nicht nur deshalb ein guter Kronzeuge, weil er einst selbst ein erfolgreicher Stürmer war. Sondern weil er den Transfer in die Wege geleitet hatte, als er noch bei der Eintracht das Sagen hatte. "Mein Team und ich haben uns ab Herbst 2020 sehr intensiv mit ihm beschäftigt", erzählt er, und erwähnt natürlich das gute Auge von Ben Manga, Direktor Profifußball, der für die Eintracht so manche Perle in den Untiefen des Transfermarkts ertaucht hat.

"Andere Profifußballer fahren in den Ferien nach Dubai. Er fuhr bis zum letzten Jahr nach Villepinte."

"Er war da noch nicht ganz fertig ausgebildet, sein Kopfball war noch unsauber, der Ball ging schon mal weg, im Abschluss war Luft nach oben. Aber das Grundbesteck hat er gehabt", erinnert sich Bobic. Bei der Eintracht war man gewillt, ihn schon im Winter 20/21 nach Frankfurt zu holen, doch der Preis, den der FC Nantes aufrief, war zu teuer. Die Eintracht zog es vor zu warten, bis sein Vertrag auslief. Kolo Muani kam nun tatsächlich ablösefrei - und unterschrieb mit Bobics Nachfolger, Sportvorstand Markus Krösche, einen Vertrag bis 2027.

"Markus und Ben Manga haben das sehr gut weitergeführt", sagt Bobic, "dass der Junge bei seinem Wort geblieben ist, sagt einiges über ihn aus. Find ich gut!" Dass sich Bobic diesen Kolo Muani auch in Berlin hätte vorstellen können, versteht sich von selbst. Ernsthafte Gedanken gab es aber nicht. Zumal die Hertha finanziell nicht in der Lage gewesen wäre, in ein Wettbieten einzusteigen. Es war ja nicht nur Frankfurt auf Kolo Muani aufmerksam geworden, es gab auch eine Reihe von anderen Klubs, die sich für einen Spieler interessierten, der mit dem FC Nantes zum Abschied den vierten französischen Pokal der Vereinsgeschichte holte - und zuvor in 36 Ligaspielen zwölf Saisontreffer erzielt hatte. Dass er zur Eintracht ging, hat wohl auch mit einem Wesenszug zu tun, den er sich selbst einmal in einem Interview attestierte: "Ich bin loyal."

So wie der frühere Manager Bobic sind auch die Frankfurter Verantwortlichen voll des Lobes über die Aufgeräumtheit und Bescheidenheit des neuen Stürmers, auch sie rühmen seinen Hunger, seinen Willen zu lernen, seine Umgangsformen, sein gesundes Umfeld.

In Nantes halten sie ihn für den besten Stürmer der vergangenen Jahrzehnte, der aus der Jugendabteilung hochkam

Wie Kylian Mbappé, heute der bestbezahlte Fußballer im Starensemble Paris Saint-Germain, wurde auch Kolo Muani in Bondy geboren. Doch er wuchs in einer anderen Stadt der Pariser Banlieue auf, in Villepinte - einem Ort, an den es ihn bis zuletzt zurückzog. "Andere Profifußballer fahren in den Ferien nach Dubai. Er fuhr bis zum letzten Jahr nach Villepinte", erzählte sein Bruder Kévin der Zeitung Ouest-France.

Das Talent des Kolo Mouani soll schon in jungen Jahren unübersehbar gewesen sein. Doch seine Bewerbungen bei Nachwuchszentren - bei der AS Saint-Étienne und der Akademie des französischen Verbandes in Clairefontaine - wurden abschlägig beschieden. Das lag auch daran, dass der heute 1,87 Meter große, physisch beeindruckende und extrem schnelle Stürmer in der Jugend unter dem so genannten Morbus Osgood-Schlatter litt - einer wachstumsbedingten Erkrankung, die vor allem junge Sportler betrifft und zu Knieschmerzen führt.

Erst mit 16 Jahren wechselte Kolo Muani in die Jugendakademie des FC Nantes - und schien die verlorene Zeit in aller Eile nachzuholen, ohne das zu vergessen, was er auf der Straße gelernt hatte: sein Spiel wirkt so unorthodox wie durchsetzungsstark. In der Saison 2016/17 schon berief ihn der damalige Trainer Sérgio Conceição für Erstligaspiele. Zum Erstligadebüt kam er aber erst im November 2018, kurz drauf wurde er an den Zweitligisten US Boulogne verliehen, um Spielpraxis zu sammeln. Es zahlte sich aus: In Nantes halten sie ihn für den besten Stürmer der vergangenen Jahrzehnte, der aus der Jugendabteilung hochkam. Und in Frankfurt sind sie schon jetzt begeistert.

Kapitän Kevin Trapp, qua Sprachtalent so etwas wie der Integrationsminister in der Eintracht-Kabine und als früherer PSG-Profi an große Talente gewöhnt, zog am Samstag ebenfalls seinen Hut. "Sehr beeindruckend", sei der junge Franzose, "er hat viel Speed, ist sehr zweikampfstark und kommt immer wieder an Bälle, die schon verloren geglaubt sind." Sie wollen seine Anwesenheit genießen, solange sie können. Denn sein Traum ist erklärtermaßen die Premier League.

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