Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC:Die Strategie des Investors

Lesezeit: 2 min

Von Javier Cáceres und Uwe Ritzer, Berlin

Am Sonntag kommt die Mitgliederversammlung von Hertha BSC zusammen, und es muss nicht zwingend damit gerechnet werden, dass die Bockwurst und die Molle besser schmecken als üblich. Am vergangenen Wochenende ging das erste Hauptstadtderby der Bundesligageschichte beim 1. FC Union nach einem eingestandenermaßen mutlosen Auftritt mit 0:1 verloren; zudem wird in der Stadt immer noch darüber diskutiert, dass aus dem Fanblock der Herthaner im Stadion An der Alten Försterei Raketen aufs Spielfeld und in Tribünen geschossen wurden.

Und am Samstag wird in RB Leipzig ausgerechnet die Mannschaft erwartet, die zuletzt Wolfsburg im Pokal (6:1), Mainz in der Bundesliga (8:0) und Zenit Sankt Petersburg in der Champions League (2:0) teilweise vernichtend geschlagen hat. Angesichts dieser Gemengelage traf es sich vielleicht gar nicht so schlecht, dass am Freitag die Diskussionen bei der Hertha um eine aufsehenerregende Personalie kreisten: Jürgen Klinsmann, 55, Welt- und Europameister, später Bundestrainer, US-Nationalcoach und zuletzt wieder hier und da im Gespräch (Nationalcoach Ecuadors? Vorstandschef seines Stammvereins VfB Stuttgart?) wird Aufsichtsrat bei Hertha BSC.

Keine Gefühlsduselei, sondern Produkt guter Beziehungen zum Großinvestor

Klinsmanns Einstieg kommt einigermaßen überraschend. Er ist zwar schon seit Jahren Ehrenmitglied und weist durch die fußballerische Präferenz seines verstorbenen Vaters Sigfried, der in Brandenburg aufwuchs und für Hertha schwärmte, eine gewisse Affinität zur Hertha auf. Sein Sohn Jonathan, ein Profi-Torwart, war eine Zeitlang bei Hertha beschäftigt, ist aber im Sommer in die Schweiz zum FC St. Gallen weitergezogen. Ausschlaggebend waren freilich nicht irgendwelche Sentimentalitäten. Sondern Klinsmanns Verbindung zu Lars Windhorst, dem in Berlin nur leidlich gelittenen Hertha-Großinvestor. Das Berliner Stadtmagazin Tip nennt den einstigen Liebling des verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl aktuell einen "windigen Handlanger des Kapitals".

Windhorst hatte im Juni über seine Holding "Tennor" einen 37,5-prozentigen Anteil an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA erworben - und diesen am Freitag auf 49,9 Prozent aufgestockt. Insgesamt zahlte Windhorst dafür 225 Millionen Euro, am Freitag bestätigte Hertha den Eingang der zweiten Tranche von 99 Millionen Euro. Windhorst stehen damit vier von neun Aufsichtsratsposten zu. Einen davon wird Klinsmann besetzen, der damit zehn Jahre nach dem vorzeitigen Ende seiner Amtszeit als Trainer des FC Bayern in die Bundesliga zurückkehrt.

Expertise aus der Ferne? Klinsmann bleibt in den USA

Am Freitag war zu hören, dass Klinsmann und Windhorst einander schon vor geraumer Zeit kennen- und schätzengelernt haben. Eine Tätigkeit als Aufsichtsrat sei zunächst nicht thematisiert worden; bei Tennor habe man aber jemanden mit einem sportlichen und internationalen Background gesucht, da sei die Wahl Klinsmanns am Ende "naheliegend" gewesen, sagte ein Windhorst-Sprecher. Klinsmann solle sich im Auftrag von Tennor vor allem um "sportstrategische Fragen" kümmern, heißt es. Nachdem Klinsmann am Donnerstag unterschrieben hatte (und die Personalie an Bild durchgesickert war), dauerte es, bis eine Reaktion von Hertha-Manager Michael Preetz verbreitet wurde. Er begrüße die Benennung "sehr", hieß es am Freitagnachmittag; er habe Klinsmann "als jemanden kennengelernt, der ebenso wie wir zukunftsorientiert Dinge voranbringen möchte".

Stunden zuvor hatte sich der Aufsichtsratsvorsitzende Karl Kaumermann über eine "sehr gute Lösung" gefreut. Dem Vernehmen nach wird Klinsmann weiter in den USA residieren, was darauf schließen lässt, dass er erst mal auf Instrumente der Ferndiagnostik zurückgreifen wird. An diesem Samstag wird er aber mit Windhorst in Berlin erwartet. Zu einer Partie gegen Leipzig, die vor allem im Zeichen des 30. Jahrestags des Mauerfalls und weniger im Lichte des Ziels stehen soll, das Windhorst Juni ausgegeben hat: Hertha zum "Big-City-Klub" zu machen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4673738
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.