Süddeutsche Zeitung

Maurizio Sarri bei Juventus:Verschroben, bockig, unverschämt

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Die Verpflichtung von Maurizio Sarri ist für Juventus eine Notlösung - und ein Rückschritt. Dem Italiener geht all das ab, was den Klub aus Turin ausmacht.

Kommentar von Birgit Schönau

Antonio Conte wird Trainer bei Inter Mailand. Francesco Totti verlässt die AS Roma. Und Maurizio Sarri heuert als Coach bei Juventus Turin an. Im italienischen Fußball geschehen Dinge, die lange Zeit undenkbar gewesen wären - und die es für viele Tifosi immer noch sind. An die Tatsache, dass die großen Traditionsklubs in Rom, Mailand und Florenz neue Besitzer aus den USA oder China haben, hat man sich inzwischen gewöhnt.

Umso wichtiger war, sich weiterhin mit Spielern und Trainern identifizieren zu können. Nun ist auch das nicht mehr garantiert - und die Fans fühlen sich verraten. Das Juve-Urgestein Conte arbeitet nun ausgerechnet für den Erzrivalen Inter. Der Roma-Gott Totti geht Türen knallend, weil ihm sein US-amerikanischer Präsident keine Verantwortung im Management zutraut. Und Sarri, der als Neapel-Trainer Juventus jahrelang nach Kräften verteufelte, erliegt dem Lockruf von Geld und Fama, um beim Serienmeister einen der besten Fußballer des Planeten zu trainieren: Cristiano Ronaldo.

Vor allem über diese Personalie kennt die Wut und Enttäuschung kaum Grenzen. In Neapel verfluchen sogar die Fußballer den "Verräter" Sarri, und im übrigen Italien drohen Hunderte von Juve-Fans, ihre Abos für Tribüne und Bezahlfernsehen zu kündigen. Ob sie das auch wahrmachen, steht dahin. Am Ende siegt vermutlich der Pragmatismus - aber nur, wenn der Neue auch die gewünschten Ergebnisse bringt. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, nicht nur, weil spätestens jetzt offensichtlich ist, dass der gute alte Mäzenaten-Fußball, in dem Präsidenten und Fans sich für eine vorgeblich gemeinsame Leidenschaft engagiert hatten, auch in Italien Geschichte ist. Diese Umarmung wurde schon mit dem "Berlusconismus" ad absurdum geführt, der aus Tifosi Wähler machte.

Juventus gab sich ein progressives Image

Die Juve, seit knapp einem Jahrhundert im Besitz der Fiat-Familie Agnelli, hat zwar den größten Anhang, hielt die Fans aber auch immer ein wenig auf Abstand. In den vergangenen Jahren hatte Präsident Andrea Agnelli den Klub modernisiert: Frauen im Aufsichtsrat, Antirassismus-Projekte mit der Unesco, Nachhaltigkeitsbericht. Kurzum, Juventus gab sich ein progressives Image und streifte einen gewissen Provinzialismus ab, auch, um internationale Märkte zu erobern. Cristiano Ronaldo verkörpert da die ultimative Trophäe. Nach dem Weggang des nur national extrem erfolgreichen Trainers Massimiliano Allegri umwarb Agnelli Pep Guardiola. Er hätte endgültig aus dem Turiner Verein eine Weltmarke machen sollen.

Aber Guardiola kommt nicht. Sarri ist daher eine Notlösung. Und ein Rückschritt. Sicher, er hat in Neapel schönen Fußball spielen lassen und mit dem FC Chelsea soeben die Europa League gewonnen. Das ist aber auch seine einzige Trophäe in fast drei Jahrzehnten Karriere. Statt Pokale sammelte Sarri Klubs: Juventus ist Nummer 20 in 29 Jahren. Soviel Unbeständigkeit entspricht durchaus nicht dem, was man in Italien stile juventus nennt, der berühmte Juve-Stil, eine Mischung aus preußischer Disziplin, Coolness und einer gewissen Eleganz.

Sarri geht das alles ab. Stur verwechselt er Verschrobenheit mit Originalität, Bockigkeit mit Selbstbewusstsein, Unverschämtheit mit Aufrichtigkeit. Als Napoli-Coach leistete er sich homophobe und sexistische Ausfälle - in England hat er sich das zum Glück verkniffen. Jetzt muss er ganz schnell den Juve-Stil lernen, sonst riskiert der größte Klub Italiens vielleicht doch noch einen kleinen Volksaufstand.

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SZ vom 18.06.2019
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