Süddeutsche Zeitung

Tokio 2021:Mit Feuer im Namen

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Nach einem Sexismus-Skandal hat das Olympia-Organisationskomitee eine neue Präsidentin. Seiko Hashimoto soll jetzt für Frieden und Gleichberechtigung sorgen.

Von Thomas Hahn

In ihrem bewegten Leben hatte Seiko Hashimoto schon so viele verschiedene Posten, dass sie wahrscheinlich selbst nicht mehr weiß, wann genau sie was war. Aber den Amtswechsel, den sie am Donnerstag vollzogen hat, vergisst sie bestimmt nicht mehr: Rücktritt als Japans Olympia-Ministerin, Antritt als Präsidentin des Organisationskomitees für die Sommerspiele in Tokio (Tocog). Seiko Hashimoto, 56, im japanischen Kabinett bisher auch für Gleichstellung zuständig, soll ihr Land unter anderem aus einer Sexismuskrise retten, die vor zweieinhalb Wochen mit frauenfeindlichen Aussagen des bisherigen Tocog-Präsidenten Yoshiro Mori, 83, begann. "Gleichstellung", sagt sie, "ist einer der Gründe, warum ich das Amt bekommen habe."

Überschätzen darf man die Personalie nicht. In fünf Monaten soll Tokio trotz Pandemie das größte Sportfest der Welt beherbergen - dieses komplizierte Vorhaben wird Seiko Hashimotos Alltag bestimmen. Im Herbst ist dann alles vorbei. Und Yoshiro Mori, ein Ex-Premierminister der rechtskonservativen Regierungspartei LDP, wirkte bei seinem Rücktritt nicht belehrbar; er hatte gesagt, Vorstandssitzungen mit mehr Frauen würden "sich hinziehen". Eine Notfall-Frau macht noch keine Teilhabe.

Sieben Mal nahm sie als Athletin an Olympischen Spielen teil

Immerhin, Japans Politik ist nicht gleich in die nächste Peinlichkeit getappt, als Mori zunächst seinen alten Funktionärskollegen Saburo Kawabuchi, 84, als Tocog-Präsidenten einsetzen wollte. Premierminister Yoshihide Suga hatte Bedenken. Eilig wurde eine Personalfindungskommission zusammengestellt. Diese legte fünf Kriterien für die neue Tocog-Führungskraft fest, unter anderem sollte diese ein "tiefes Verständnis" für das Thema Gleichstellung mitbringen.

Das engte den Kreis der Kandidatinnen und Kandidaten beträchtlich ein. Seiko Hashimoto war die logische Wahl. Sie ist eine olympische Vorzeigefrau. Sie stammt aus Hokkaido, aus einer Bauernfamilie. Sie wurde wenige Tage vor Olympia 1964 in Tokio geboren. Ihren Vornamen leiteten die Eltern von dem Wort "Seika" ab, das auf Japanisch olympisches Feuer heißt.

Von 1984 an nahm sie sieben Mal an Olympischen Spielen teil, viermal im Winter als Eisschnellläuferin, dreimal im Sommer als Bahnradfahrerin. Es war, als müsste sie immer dabei sein, wenn irgendwo ein olympisches Feuer brannte. Der größte Erfolg: Bronze in Albertville 1992. Vielleicht hätte sie sogar weitergemacht, wenn nicht schon Mitte der Neunzigerjahre ihre Karriere als Oberhaus-Parlamentarierin der LDP begonnen hätte. Das Hin und Her zwischen Sport und Politik ging auf Dauer nicht. Trotzdem fehlte sie 2000 bei einer Oberhaussitzung. Sie brachte ihr erstes Kind zur Welt. Danach führte Japan Mutterschaftsurlaub für Abgeordnete ein.

Ihr Lebenslauf offenbart ihre Umtriebigkeit

Wenn sie heute auf Pressekonferenzen redet, wirkt sie konzentriert und etwas blass. Ihr Lebenslauf liest sich durchaus bunt. Sie etablierte sich im Männerbund der LDP. Bekam mit ihrem Mann, einem Polizeibeamten, insgesamt drei Kinder. War Präsidentin des Eislauf- und des Radsport-Verbandes, außerdem Funktionärin in Judo, Handball und anderen Sportarten sowie mehrmals Leiterin der japanischen Olympia-Mannschaft. Dass sie feiern kann, wurde 2014 nach einer Party in Sotschi bekannt. Sie knutschte mit dem Eiskunstläufer Daisuke Takahashi. Ein Magazin zeigte Fotos. Skandal und Entschuldigung. Vom Vorwurf, sie habe den 28-Jährigen sexuell genötigt, blieb nichts übrig.

Und jetzt soll Seiko Hashimoto also Frieden in Tokios aufgewühlte Olympia-Landschaft bringen. "Das Wichtigste sind die Corona-Gegenmaßnahmen", sagte sie in ihrer ersten Ansprache als Tocog-Chefin. Außerdem müsse der Frauenanteil im Vorstand "mit Schnelligkeit" erhöht werden. Über ihren Vorgänger sagte sie nichts. Schon gar nichts Schlechtes. Yoshiro Mori ist in der LDP einst Seiko Hashimotos größter Förderer gewesen.

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