Süddeutsche Zeitung

Japan:Bunte Schlaufen am Ashi-See

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In Japan ist der 100. Staffellauf Hakone-Ekiden trotz des großen Erdbebens und des Flugzeugunglücks abgehalten worden. Zuvor war er nur während und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgefallen - nun geben die Läufer den Menschen Trost und Halt.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Kulisse am Ziel des Hakone-Ekiden vor dem Tokioter Gebäude der Zeitung Yomiuri im Stadtteil Otemachi passte zum runden Jubiläum. Viele Menschen säumten die Straße, Applaus und Jubel begleitete die Läufer auf den letzten Metern des zweitägigen Staffelrennens, das in diesem Jahr zum 100. Mal stattfand. Und das Ergebnis war außergewöhnlich. Bei 10 Stunden 41 Minuten und 25 Sekunden blieb die Uhr stehen, als Shunya Udagawa, Schlussläufer der siegreichen Aoyama-Gakuin-Universität, die Ziellinie überquerte.

Neuer Rekord für die 217,1 Kilometer lange Strecke von Tokio nach Hakone und zurück. Mehr als zwei Minuten lag die Zeit unter der Bestmarke, die im Jahr zuvor die Komazawa-Universität aufgestellt hatte. Trotzdem lief auch ein Zweifel mit beim großen Traditionswettkampf, den Komazawa diesmal als Zweiter (10:48:00) und die Josai-Universität als Dritter (10:52:26) beendeten. Aoyama-Gakuin-Coach Susumu Hara sprach davon, als er später auf der Siegerpressekonferenz sagte: "Ich möchte dafür danken, dass es uns erlaubt wurde, den Hakone-Ekiden unter solchen Umständen abzuhalten."

In der Tat konnte man sich am Mittwoch fragen, ob Japans wohl bekanntestes Langstreckenrennen zur Gesamtsituation der Nation passte. Das große Erdbeben auf der Halbinsel Noto in der Präfektur Ishikawa mit Magnitude 7,6 war ja erst zwei Tage her. 300 Kilometer entfernt vom Ziel auf der anderen Seite der Hauptinsel Honshu zogen Hilfskräfte immer noch Tote aus den Trümmern; bei 73 lag die Zahl der Opfer am Mittwochabend. Und zu allem Überfluss war am Dienstagabend auf dem Tokioter Flughafen Haneda ein Passagierflugzeug mit einer Maschine der Küstenwache kollidiert; fünf Mitarbeiter der Küstenwache starben.

Es war trotzdem gut, dass Organisatoren den Hakone-Ekiden für die besten Universitätsteams der Kanto-Region am Morgen des 2. Januar wie geplant auf den Weg brachten. 1920 startete das Rennen zum ersten Mal. Seither hat es nur fünf Mal nicht stattgefunden, während des Zweiten Weltkrieges sowie dem Folgejahr 1946. Sonst war der Hakone-Ekiden eine feste Größe im Kalender. Und erst recht ab 1987, als Nippon TV damit begann, das Rennen mit seinen zehn Abschnitten live zu übertragen. Seither können sich Japans Menschen darauf verlassen, am 2. und 3. Januar sehnige junge Männer durchs Fernsehprogramm eilen zu sehen.

Der Hakone-Ekiden ist das Symbol einer beruhigenden Gewohnheit. Solange die Ekiden-Läufer zum Jahresbeginn die bunten Schlaufen ihrer Universitäten von Etappe zu Etappe tragen, ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Gerade im Erdbebenland Japan ist das ein Trost, der Menschen Halt und Perspektive gibt.

Mehr als eine Bühne für Sponsoren und eitlen Wettbewerb

Ein Sportereignis ist eben doch mehr als nur eine Bühne für Sponsoren und eitlen Wettbewerb. Obwohl der Hakone-Ekiden sicher auch ein Beispiel für eine perfekt vermarktete Leichtathletik ist, die auf sympathische Art die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht. Immer vor dem Ekiden hängen in den S-Bahnen der Yamanote-Linie, die in einem weiten Kreis durch Tokios Innenstadtbezirke führt, die dünnen Fahnen in den Farben der teilnehmenden Universitäten von der Decke. Das Rennen kann schon vor dem Start keiner übersehen.

Und der Ehrgeiz der Teilnehmer ist enorm. Titelverteidiger Komazawa-Universität hatte vor dem Rennen die Favoritenrolle, nachdem ihre Mannschaft schon im Oktober den Izumo Ekiden gewonnen hatte und im November die nationale Meisterschaft. Aber gegen das Zehnerteam der Aoyama Gakuin University war diesmal nichts zu machen. Es hatte schon am ersten Tag das Feld der 23 teilnehmenden Teams dominiert auf dem Weg in Tokios Nachbarpräfektur Kanagawa. Hiroki Wakabayashi, der fünfte Läufer der Mannschaft, erreichte mit 2:38 Minuten Vorsprung das Ziel am Ashi-See in Hakone, einem kleinen Kurort nahe dem Nationalberg Fuji.

Und auf dem 109,6 Kilometer langen Rückweg ging dann nichts mehr schief. Am Ende hatte Komazawa einen satten Rückstand von 6:35 Minuten, und Manager Atsushi Fujita machte sich Vorwürfe. "Wir wollten Erster werden", sagte er enttäuscht, aber konnte die Niederlage wohl doch verwinden. Es gab Schlimmeres in diesen ersten Tagen des neuen Jahres.

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