Süddeutsche Zeitung

James Rodríguez bei Real Madrid:Neue Nummer im königlichen Zirkus

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Geboren für die Galaktischen: Real Madrid lässt sich die Verpflichtung des WM-Torschützenkönigs James Rodríguez knapp 80 Millionen Euro kosten. Was bedeutet das für Toni Kroos?

Von Oliver Meiler, Barcelona

In Madrid kursiert gerade das höchste allen möglichen Lobs, zumindest im fußballerisch königlichen, im weißen Teil der Stadt. James Rodríguez, heißt es da, sei ein geborener, gewissermaßen vorbestimmter Spieler für Real Madrid. Er habe die Statur und die Eleganz, die es dazu brauche.

Seit diesem Dienstag ist der 23-jährige Kolumbianer, eine der ganz großen Entdeckungen der WM in Brasilien, Torschützenkönig und Gestalter des schönsten Turniertreffers, auch vertraglich und ganz offiziell ein Spieler von Real Madrid. Mit Zahlen und Klauseln, für sechs Jahre und sieben Millionen Euro Jahressalär, netto, wie man hört. Bleibt zu hoffen, dass die Lorbeeren auf dem jungen Haupt nicht schnell welken.

Viel Überzeugungskraft war nicht nötig

Knapp 80 Millionen Euro sollen die Spanier an den russischen Besitzer von AS Monaco überweisen, wo James (ausgesprochen: "Chames"), wie er von allen kurz genannt wird, zuletzt gespielt hat. Viel Überzeugungskraft war nicht nötig: Der schüchterne Mann aus Cúcuta an der Grenze zu Venezuela, Sohn eines Fußballers, sportlich gereift beim FC Porto, wollte immer schon zu Real.

Erst jüngst offenbarte er seine Liebe mit rührenden und auch ausführlichen Sätzen, wie er sie sonst nur selten formuliert. Und Florentino Pérez, Reals Präsident, war in seinem Fall wieder außerordentlich schnell entschlossen, tief in die Vereinskasse zu greifen. James hat die Klasse, die das Bernabéu erwartet, und ein beträchtliches Marketingpotenzial auf verschiedenen Märkten. Er hat den Mix des madrilenischen Galaktismus. Und der Pérez'sche Zirkus schreit nun mal nach immer neuen Nummern. Nach Kunst- und Beinschüssen, nach Ah-und-Oh-Momenten. Nach James zum Beispiel.

In Madrid spricht man vom "Coup des Sommers". Diese inoffizielle Trophäe ist ihnen in der Hauptstadt deshalb so wichtig, weil sie beim FC Barcelona bereits geglaubt hatten, diese inoffizielle Trophäe mit dem Transfer des ebenso beißwütigen wie reumütigen Uruguayers Luis Suárez gewonnen zu haben. Das ewige Duell der spanischen Rivalen treibt mal wieder den globalen mercato an und um.

Freilich, Pérez handelt sich mit dem Kauf des Mittelfeldspielers in ebenjenem Sektor des Teams eine faktische Überbevölkerung ein. Dichtestress. Ein paar Tage ist es erst her, da hatte Real schon Toni Kroos vom FC Bayern vorgestellt. Der kostete zwar etwas weniger, 30 Millionen Euro, kam aber ebenfalls mit dem Siegel des Ausnahmekönners, als Weltmeister obendrein, jedenfalls nicht als Reservist.

Und so zählt man in Reals Reihen in diesen Tagen acht nominelle Mittelfeldspieler mit Starstatus, von denen im klassischen 4-3-3-System von Trainer Carlo Ancelotti fünf überzählig wären: Neben James und Kroos finden sich da noch Sami Khedira, Angel Di María, Xabi Alonso, Luka Modric, Isco und Illarramendi. Die Namen der beiden Letztgenannten, zwei junge spanische Talente, klingen in ausländischen Ohren vielleicht nicht ganz so groß wie jene der Kollegen. Doch daheim gelten sie als Garantien für die Zukunft der Roja, der Nationalmannschaft - im vergangenen Sommer waren sie unter viel patriotischem Applaus zu Real gestoßen, auch nicht eben umsonst, für insgesamt 70 Millionen.

Viel Personal also für wenige Posten. Noch aber läuft der Transfermarkt. Pérez' Einkaufsoffensive dient wohl auch dazu, einigen Angestellten indirekt die Türe zu weisen. Mindestens zwei aus der zentralen Abteilung wollen weg und sollten auch leicht Interessenten finden: Khedira beklagt sich schon länger über geringe Wertschätzung in der spanischen Öffentlichkeit und schaut nach England; Di María ärgert sich darüber, dass seine zuweilen herausragenden Leistungen nicht längst mit einer stattlichen Aufbesserung seines Gehalts honoriert wurden. Vor allem vom Verkauf des Argentiniers erhofft sich Real einen dermaßen hübschen Erlös, dass sich damit James' Transfer rückfinanzieren ließe. Beinahe wenigstens. Aus Paris, vom dortigen PSG, kommen für Di Maria die deutlichsten Zeichen und besten Gebote.

Von Isco wiederum heißt es, er sei glücklich in Madrid. Nur könnte sich dieses Glück bald einmal eintrüben, sollte nämlich James auf der Position des Spielmachers im offensiven Mittelfeld bald alles Licht auf sich ziehen. So ist das vorgesehen, die Hierarchien sind klar bestimmt. James kriegt die Rückennummer "10", die seit dem Weggang von Mesut Özil bei Real niemand mehr getragen hatte.

Aber auch diese Frage stellt sich ja inzwischen: Wo spielt eigentlich Toni Kroos, wenn James den so genannten BBC-Sturm - also Benzema, Bale und Cristiano Ronaldo - aus der zweiten Reihe bedient? Die spanischen Sportzeitungen spielen nun taktische Varianten durch, mit einem defensiveren Kroos in einem Sechser-Duo, mal mit Xabi Alonso, mal mit Modric. Oder mit Kroos als "10" anstelle von James. Oder mit Kroos an der Seite von Di María, wenn der wider Erwarten in Madrid bleiben sollte.

Das hört sich alles noch konfus an, aber auch feudal. In Madrid jedenfalls glaubt man, die Kreativzentrale der Elf noch mal entscheidend verstärkt zu haben, was nicht ganz einfach war: Das Team hat mit stürmischem Gestus eben erst die Champions League gewonnen - "La Décima", die zehnte Trophäe in der Königsklasse, der Real seit zwölf Jahren nachgerannt war.

Bloß kein Sättigungsgefühl

Nach dem Erfolg könnte sich ein Sättigungsgefühl einstellen bei den Helden von Lissabon. James soll sie alle wecken, zunächst mal mit seiner Visitenkarte. In einer Endlosschleife zeigen die spanischen Sender sein Volleytor gegen Uruguay, das 1:0 Kolumbiens im WM-Achtelfinale: Es war ein hochartifizieller Mix aus Ballannahme mit der Brust und Direktabnahme mit dem linken Fuß, eine Szene, die in Echtzeit so leicht und anmutig wirkt wie in Zeitlupe, und das kommt doch eher selten vor.

Die Madrider Zeitung Marca beschreibt James Rodríguez' Ankunft mit Champions-Arithmetik als "elftes Wunder" und als "Lizenz zum Träumen". "Kolossal" sei dieses neue Real. Auch das kennt man: In der Sommerhitze geraten die Schlagzeilen immer eine Spur zu phantastisch.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2014
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