Süddeutsche Zeitung

IOC:Schlussstrich als fatales Signal

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Russland zurück in der olympischen Familie - das klingt irre. Aber alles deutet auf einen neuerlichen Deal hin.

Von Johannes Aumüller

Es lohnt die Vorstellung, wie das wohl wäre bei der Schlussfeier am Sonntag. Da würde irgendwann "Team Russland" einziehen, vorneweg ein Medaillengewinner mit der russischen Fahne, dahinter alle anderen, in Nationalkleidung. Vor den Augen der Welt. Dobro poschalowat, liebe Russen, willkommen zurück in der olympischen Familie, eure Doping-Affäre ist jetzt offiziell abgehakt. Klarer könnte man diese Botschaft gar nicht symbolisieren.

Die Russen zahlen 15 Millionen, fertig ist das Freispruch-Paket?

Klingt irre? Wäre auch irre. Aber was hinderte das Internationale Olympische Komitee (IOC) je daran, irre Dinge zu tun?

Offiziell entscheidet das IOC am Samstag, vielleicht auch erst am Sonntag, ob die Suspendierung von Russlands Olympia-Komitee für die Schlussfeier schon wieder endet - und die Delegation wieder mit der russischen statt mit neutraler Flagge einlaufen darf. Angesichts der Faktenlage müsste die Suspendierung fortbestehen. Seit Donnerstag gibt es sogar einen offiziellen Dopingfall in Russlands Team, der Sportgerichtshof Cas schloss den Curler Alexander Kruschelnizkij von den Spielen aus. Das müsste schon gemäß der IOC-eigenen Vorgaben das K.o.-Kriterium sein - davon will das IOC aber plötzlich nichts mehr wissen.

Doch der Dopingfall ist eh nur das letzte Argument. Das tieferliegende ist die Tatsache, dass Russlands Verantwortliche noch immer keine Einsicht zeigen. Erst dieser Tage erklärten sie wieder, sie wollten den Bericht, in dem der Sonderermittler Richard McLaren ihr Dopingsystem ausleuchtete, nicht anerkennen. Ganz zu schweigen davon, dass sie das System als das benennen würden, was es war: Staatsdoping. Aber warum sollten sie? Das IOC spricht ja selbst nicht von Staatsdoping.

So deutet alles auf einen neuerlichen Deal hin - wie schon so oft in dieser nun mehr als drei Jahre dauernden Affäre. Am Mittwoch gab es ein Treffen von IOC-Boss Thomas Bach mit Russlands Spitzenpolitiker Igor Lewitin, einem Vertrauten von Staatschef Wladimir Putin. Parallel dazu wurde im Dopingfall Kruschelnizkij die anfängliche Suche der Russen nach einem Unbekannten, der dem Curler das verbotene Herzmittel Meldonium untergejubelt habe, eingestellt. Zudem kündigte Russland an, jene 15 Millionen Dollar zu überweisen, die Teil des überschaubaren Strafenkataloges waren. Und fertig ist das Freispruch-Paket?

Zumindest fällt auf, dass beim IOC plötzlich öfter das Wort "partiell" fällt. Dass es also sein könnte, Russland nur einen Teil der Suspendierung zu erlassen, partiell, unter Vorbehalt - die nächste Sprachregelung. Nicht, dass das IOC moralische Bedenken hätte, einen kompletten Schlussstrich zu ziehen. Aber zu einem möglichen Ablauf des Sonntags gehört auch die Überlegung, dass Teile des Publikums ein Pfeifkonzert anstimmen könnten, falls Russlands Team so gemütlich einmarschiert wie jedes andere auch. Und das wäre ja nicht gerade ein Olympia-Abschluss, den ein IOC sich wünscht.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2018
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