Süddeutsche Zeitung

HSV-Stürmer Robert Glatzel:Uwe Seelers Hoffnungsträger

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Lange sah es bei Robert Glatzel so aus, als würde er die bayerische Regionalliga nie verlassen. Dass er mit 28 Jahren den HSV in die Bundesliga schießen kann, liegt an der wichtigsten Währung, die man Stürmern zahlen kann.

Von Thomas Hürner, Hamburg

So ziemlich jeder Mensch dürfte sich schon mal gefragt haben, wie das wohl wäre, wenn man sich mit seinem Zukunfts-Ich unterhalten könnte. Das Zukunfts-Ich weiß schließlich über alles Bescheid, was irgendwann einmal passieren wird. Nur: Ob Robert Glatzel seinem Zukunfts-Ich auch nur ein einziges Wort geglaubt hätte, wenn sie sich vor zehn Jahren begegnet wären?

Der Stürmer hätte nämlich Dinge erfahren, die seinerzeit niemand für möglich gehalten hätte, am wenigsten er selbst. Das Zukunfts-Ich hätte zum Beispiel erzählt, dass sich Glatzel im Mai 2022 mit dem Hamburger SV auf zwei Relegationsspiele gegen Hertha BSC vorbereiten würde. Und dann hätte das Zukunfts-Ich noch aus einer der jüngsten Ausgaben der Bild vorgelesen; dort wurde niemand geringeres als Uwe Seeler zum Thema Glatzel befragt. "Hervorragend" mache dieser seinen Job, findet Seeler, die bisherigen 22 Saisontreffer seien "beeindruckend". Und: "Robert Glatzel macht seiner Rückennummer neun alle Ehre!" Dazu muss man wissen, dass es einst Uwe Seeler war, der das HSV-Trikot mit der Nummer neun zum weltweit anerkannten Statussymbol machte.

Glatzel tat sich schwer, als es für ihn in den Herrenbereich ging

Allerdings läge Glatzel kaum etwas ferner, als sich auf so viel Lob etwas einzubilden. Der Stürmer weiß sehr genau, wo er herkommt - und er weiß deshalb, dass er eine so nicht vorhersehbare Karriere hingelegt hat.

Denn Robert Glatzel, 28, befand sich lange auf einer Route, von der unklar war, ob sie jemals eine Abzweigung in Richtung Profigeschäft nehmen würde. In seinen Jugendtagen galt er als nicht völlig talentfrei, doch Glatzel war auch immer größer und stärker als andere, und dieser Vorteil währt nur so lange, bis auch die anderen größer und stärker werden. Fürstenfeldbruck, Unterhaching, TSV 1860 München - die stringente Nachwuchsvita bekam einen Bruch, als es in den Erwachsenenbereich ging. Aus dieser Zeit gibt es glaubwürdige Erzählungen, dass Glatzels Vater immer wieder bei bayerischen Amateurklubs vorstellig geworden sei, bitte, bitte, nur ein Probetraining, mein Junge kann wirklich was! Das Problem war: Eigenmarketing macht Fußballer nicht zwangsläufig interessanter. Und wenn der Fußballer überdies keine Tore schießt, sieht das schnell wie Bedürftigkeit aus.

Das ist der erste Teil der Glatzel-Geschichte, die des Glücklosen, des Suchenden. Er sammelte fünf Stationen in vier Jahren, größtenteils in den Bayern- und Regionalligateams kleiner Profivereine. Es sah nicht wirklich danach aus, als würde aus dem Jungen noch mal was. Aber Glatzel ist ein Stehauf-Fußballer. Und er hatte das Glück, dass in dem Zweitligisten 1. FC Heidenheim ein Verein auf ihn aufmerksam wurde, der darauf spezialisiert ist, aus Restposten charakterfeste Profis zu formen. "Wir haben gesehen, welches Potenzial Bobby als Mittelstürmer mitbringt", sagt Heidenheims Sportchef Holger Sanwald.

Doch auch auf der Ostalb tat sich Glatzel zunächst schwer, er brauchte eine ganze Eingewöhnungssaison, um den intensiven Pressing-Fußball des FCH-Trainers Frank Schmidt zu verstehen. "Wir haben ihm auf direkte Art und Weise gesagt, woran es aus unserer Sicht noch fehlt", erzählt Sanwald - und Glatzel machte weiter das, was er in sportlichen Dürreperioden immer schon machte: Zuhören, arbeiten, zuhören, weiterarbeiten.

Erst der HSV-Coach Tim Walter konnte Glatzels volles Potenzial abrufen

Seine Laufbahn ist ein Lehrstück darüber, dass Vertrauen eine Währung ist, die Stürmer irgendwann mit Toren zurückzahlen. In seiner zweiten Saison in Heidenheim erzielte Glatzel 13 Treffer in der zweiten Liga und traf drei Mal im DFB-Pokal gegen den FC Bayern. Das sind solide Statistiken, aber noch lange nichts, womit man Eindruck machen kann. Für diesen Entwicklungsschub brauchte er den HSV-Trainer Tim Walter.

Walter ist ein moderner Offensivlehrer, der in Motivationsfragen eher klassischen Methoden anhängt. Der Coach traute dem Mittelstürmer von Anfang an zu, ein Alleskönner zu werden, und Glatzel ist mittlerweile in allen Winkeln des Platzes unterwegs, er passt, er hat den Kopf oben und ist zur rechten Zeit am rechten Ort. Seine neue Abschlussreife, sagt der FCH-Sportchef Sanwald, sei vor allem in den "entscheidenden Spielen" zum Tragen gekommen.

Auf den Stürmer wird es jetzt auch in der Relegation gegen Hertha BSC ankommen. Und es ist keine kühne Prognose: Über einen Wiederaufstieg des HSV würde sich Uwe Seeler am meisten freuen.

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