Süddeutsche Zeitung

Handballer Renars Uscins:Ein Spieler wie ein Geschenk

Lesezeit: 3 min

Wer ist dieser Renars Uscins, der im Handball-Nationalteam plötzlich so viele Tore wirft? Der 21-Jährige trägt sehr früh viel Verantwortung - und beweist, dass man im Rückraum gar kein Brecher sein muss.

Von Carsten Scheele, Hannover

Renars Uscins blickte verschämt zu Boden, er ahnte ja, was gleich kommen würde. Zweimal wurde er bei den Spielen zur Olympia-Qualifikation bereits zum Spieler des Spiels gewählt, zweimal hatte er unter Jubel und Schulterklopfen die Ehrung entgegengenommen. Die ersten beiden Male waren noch okay, aber jetzt, beim dritten Mal, so sagte er, "war ich peinlich berührt". Uscins konnte das Ganze natürlich einordnen. Die drei Spiele fanden in Hannover statt, an Uscins Wohnort also, er spielt seit zwei Jahren bei der TSV Hannover-Burgdorf in der Bundesliga. Schon klar, dass die Zuschauer in der Halle per App vermehrt für seinen Namen votierten.

Aber Uscins hätte die Auszeichnungen wohl auch in Kiel oder Gummersbach eingeheimst. Bei all dem Lärm um die Vertragsverlängerung von Bundestrainer Alfred Gislason ist zuletzt ein wenig untergegangen, wer die deutsche Nationalmannschaft zur Olympiateilnahme getragen hat. Das waren weniger die Namen, die man erwartet hätte, nicht Johannes Golla, der Kapitän, der nach einer Erkrankung nicht bei Kräften war; auch nicht Spielmacher Juri Knorr, der unter einer Formkrise leidet, oder Torwart Andreas Wolff, der gegen Österreich ausgewechselt wurde.

Es war Uscins, 21, vor acht Monaten noch Kapitän jener U21-Nationalmannschaft, die für Deutschland den WM-Titel gewann. Jetzt hat sich der Linkshänder in kürzester Zeit ein ganzes Level nach oben gekämpft. Er ist fürs A-Team mittlerweile, was er fürs Juniorenteam war: Ein Spieler, der vorangeht, dem man in wichtigen Situationen den Ball geben kann, der dann keine zittrigen Finger bekommt. "Er übernimmt Verantwortung, obwohl er sehr jung ist", sagt Golla über seinen jungen Kollegen. Zehn Tore gegen Algerien, acht gegen Kroatien, sieben gegen Österreich - die These, dass es ohne Uscins sehr schwer geworden wäre mit der Qualifikation für die Sommerspiele, ist nicht allzu steil. "Renars hat sehr viel von dem gezeigt, was er kann", sagt Knorr.

"Er hat uns sehr stolz gemacht", sagt sein Vereinstrainer Christian Prokop

Auch sein Vereinstrainer Christian Prokop hat Uscins Auftritte im Nationalteam in der Halle verfolgt. Prokop war von 2017 bis 2020 selbst Bundestrainer und weiß, was er an seinem Spieler hat. "Renars ist in den richtigen Momenten mit Qualität vorangegangen", sagt Prokop: "Er hat der Nationalmannschaft viel Stabilität und Orientierung gegeben." Uscins hat seinen Vertrag in Hannover zuletzt bis 2025 verlängert, und klar: Der Verein will ihn langfristig halten. "Er hat uns sehr stolz gemacht", erklärt Prokop.

Uscins (ausgesprochen "Uschins", nicht etwa "Uskins") ist der Sohn des früheren lettischen Nationalspielers Armands Uscins. Er wurde zwar 2001 in Lettland geboren, wuchs aber von seinem dritten Lebensjahr an in Deutschland auf. Sein handballerischer Weg führte ihn über Dessau-Roßlau nach Magdeburg, dort lief er bereits als B-Jugendlicher in der A-Jugend-Bundesliga auf. Nach einer Saison beim Bergischen HC ging er 2022 nach Hannover.

Bei allem Talent hat Uscins davon profitiert, dass er da war, als er gebraucht wurde: Nach seinem Wechsel nach Hannover stand dort unter Trainer Prokop sofort ein Umbruch im Team an, der Linkshänder Uscins ist seitdem gesetzt. Und vielleicht wäre er im Nationalteam nicht da, wo er jetzt ist, hätte er bei der EM im Januar im Halbfinale gegen Dänemark nicht plötzlich in der ersten Sieben spielen müssen. Kai Häfner musste aus privaten Gründen abreisen, Uscins rückte nach und machte eine herausragende Partie: fünf Tore gegen den Weltmeister, Spieler des Spiels. "Warum soll ich Angst haben?", fragte er hinterher. Es waren ja nur die Dänen.

Dabei agiert Uscins auf einer Position, für die er eigentlich gar nicht den Körper hat. Er spielt im rechten Rückraum, wirkt mit seinen 1,89 Metern Körpergröße zwischen all den Brechern schmächtig; ein wenig wie der Däne Mathias Gidsel, bei dem man sich immer wundert, wie schnell er an deutlich größeren und stärkeren Gegenspielern vorbeihuscht. Es ist ein neuer Spielertyp, der sich seit ein paar Jahren im Handball breitmacht. Auch Uscins ist gidselhaft flink, hat einen pfeilschnellen Wurf. Einer seiner besten Moves ist, wenn er hochsteigt, aber länger in der Luft bleibt als seine Gegenspieler. Wenn diese landen, ist Uscins noch oben und kann den Ball über deren Köpfe hinweg zischen lassen.

Und all das mit 21 Jahren. "Er wird mal ein sehr kompletter Spieler sein", sagt Bundestrainer Gislason. Komplett in Angriff und Abwehr, meint er damit, Uscins Spiel hat kaum Schwächen. Für den Bundestrainer ist Uscins ein Geschenk. Da sich Häfners Karriere mit 34 Jahren eher dem Ende zuneigt, muss er auf der halbrechten Rückraumposition nicht bangen, dass Fabian Wiede zur Abwechslung mal fit ist für ein großes Turnier. Er hat Uscins.

Und der hat noch viel vor. Locker steht Uscins nach den Spielen in der Mixed Zone, lacht und strahlt, gibt keine Plattitüden von sich, wirkt authentisch. Er will jetzt zu Olympia, klar, nach jetzigem Stand hat er seinen Kaderplatz sicher. Uscins sagt: "Ich bin noch nicht am Ende."

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