Süddeutsche Zeitung

Neues Nationalteam:Deutschland leitet den Handball-Umbruch ein

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Bundestrainer Alfred Gislason verzichtet in der EM-Vorbereitung auf Arrivierte wie Andreas Wolff, Julius Kühn oder Kai Häfner. Stattdessen nominiert er zwei Spieler aus der zweiten Liga.

Von Ralf Tögel

Es ist kein schönes Bild, das die deutsche Handball-Nationalmannschaft hinterlassen hat. Mit enttäuschten Mienen standen die Spieler auf dem Parkett der Nationalen Sporthalle Yoyogi, der Traum von der Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokio war nach der 26:31-Viertelfinalniederlage gegen Ägypten gerade geplatzt.

Ein weiterer Tiefpunkt für den deutschen Handball - und für Bundestrainer Alfred Gislason nach dem historisch schlechten Abschneiden bei der WM im Januar in Ägypten, das seine Auswahl als Zwölfter beendete, der zweite Misserfolg im zweiten Turnier seiner Amtszeit. Gleichwohl ruhen die Hoffnungen weiterhin auf den Schultern des Isländers, der von seinem glücklosen Vorgänger Christian Prokop angesichts der traditionell hohen Ansprüche kein leichtes Erbe übernommen hatte. Denn der Deutsche Handball Bund (DHB) hechelt nach wie vor den großen Erfolgen unter Bundestrainer Dagur Sigurdsson hinterher, mit dem er 2016 den EM-Titel und Olympia-Bronze gewonnen hat.

Nun startet der DHB mit einer Lehrgangswoche und zwei Länderspielen gegen Portugal (5. und 7. November) in die Vorbereitung für die Europameisterschaft 2022 in Ungarn und der Slowakei (13. bis 30. Januar), wofür Gislason am Montagnachmittag sein Aufgebot bekannt gab. Der Bundestrainer hatte wie versprochen "ein paar Überraschungen" parat. In Steffen Weinhold und Kapitän Uwe Gensheimer waren nach dem Olympia-Aus bekanntlich zwei langjährige Stützen des Teams zurückgetreten, Hendrik Pekeler hat sich eine Pause für unbestimmte Zeit erbeten, und Torhüter Johannes Bitter will nur noch im Notfall aushelfen.

Dass Gislason indes bis auf Timo Kastening auf den gesamten Melsunger Block verzichtet, war nicht zu erwarten. Weder Julius Kühn, Kai Häfner, Tobias Reichmann oder Torhüter Silvio Heinevetter zählen zum Aufgebot, Finn Lemke ist verletzt. Gislason begründete dies damit, dass die Melsunger schon im vergangenen Jahr eine schwere Saison gehabt haben, was man deren Leistungen bei Olympia angemerkt habe. Ähnliches gelte für Torhüter Andreas Wolff, der beim polnischen Topklub Kielce spielt. "Die Tür ist für keinen Spieler zu", betonte Gislason, er habe sich aber vorgenommen, "mehr Breite in den Kader reinzubringen". Und so den Druck auf die arrivierten Kräfte zu erhöhen.

Kiel und Melsungen stellten oft das Gerüst der Nationalmannschaft - nun nicht mehr

Vor allem die Nominierung von Rückraumspieler Hendrik Wagner (Eulen Ludwigshafen) und Mittelmann Julian Köster (VfL Gummersbach) überrascht in diesem Zusammenhang, beide haben zwar mit Nachwuchsteams des DHB große Erfolge gefeiert, spielen aber in der zweiten Liga. Zudem debütieren Linksaußen Lukas Mertens (SC Magdeburg), Torwart Joel Birlehm (Leipzig) und Rechtsaußen Lukas Zerbe (Lemgo). Auch die Rückkehr von Simon Ernst kommt unerwartet; er hat mit Deutschland vor fünf Jahren den EM-Titel gewonnen und galt als große Hoffnung, wurde aber durch drei Kreuzbandrisse zurückgeworfen. Das Gros der Mannschaft bilden dennoch weiterhin erfahrene Spieler, auch der Berliner Fabian Wiede, der die beiden letzten Turniere verletzt verpasst hat, kehrt zurück.

"Mit diesem Kreis möchten wir den Umbruch starten", erklärte Sportvorstand Axel Kromer, Gislason habe daher durchweg Spieler nominiert, "von denen wir erwarten, dass sie bereits bei der kommenden Europameisterschaft zentrale Rollen übernehmen können". Der Fokus indes, das hat Präsident Andreas Michelmann, der kürzlich für vier weitere Jahre im Amt bestätigt wurde, betont, liege bei der EM 2024 und der WM 2027; beide Turniere finden in Deutschland statt. Dort wolle man nicht nur mit dem Erlebnis beeindrucken, sondern auch mit dem Ergebnis.

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