Süddeutsche Zeitung

Handball-EM ohne Deutschland:Mannschaft ohne Punch

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Handball-Turniere ohne Deutschland sind kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Zwei verpasste Großereignisse in anderthalb Jahren sprechen eine deutliche Sprache. Die Schwächen der aktuellen Generation könnten dem Bundestrainer zum Verhängnis werden, obwohl er selbst wenig dafür kann.

Ein Kommentar von Carsten Eberts

Die große Völkerwanderung bleibt aus, Dänemark wird etwas leerer sein im kommenden Januar. Für die deutschen Fans wäre es ein kurzer Sprung über die Grenze gewesen, aus Flensburg gerade zehn Kilometer, aus Kiel auch nur 95. Nun wird die Europameisterschaft, das wichtigste Handballturnier des Kontinents, hierzulande kaum auf Interesse stoßen.

Seit Samstag ist gewiss, dass im Januar 2014 zum ersten Mal eine Handball-Europameisterschaft ohne deutsche Beteiligung ausgetragen wird. Der hohe Sieg zum Abschluss der Qualifikation gegen Israel genügte nicht, handballerische Mittelklassenländer wie Montenegro und Tschechien haben das deutsche Team überflügelt.

Wer das Fehlen beim olympischen Turnier in London noch als Verkettung unglücklicher Umstände abgetan hatte, der weiß nun, dass es immer wieder passieren kann. Zwei verpasste Großereignisse in anderthalb Jahren sprechen eine deutliche Sprache.

Der Trainer steht zur Debatte - natürlich

Beim Deutschen Handballbund wird einiges in Bewegung geraten. Im September soll ein neues Präsidium gewählt werden. Wenn sie sich nicht allzu ungeschickt anstellen, dürften der langjährige Handball-Funktionär Bernhard Bauer und Bob Hanning, der Manager der Füchse Berlin, als Nachfolger von Ulrich Strombach und Horst Bredemeier in die Spitze aufrücken. Sie müssen dann einleiten, was nach der WM 2007 verpasst wurde: das Verhältnis zwischen Verband und Liga professionalisieren, die Ausbildung der Spieler modernisieren, den ganzen Sport zukunftsfähig machen.

Natürlich wird die neue Spitze über den Bundestrainer debattieren, so gebieten es die Gesetze des Marktes. Auch wenn Martin Heuberger keineswegs die Schuld an der Misere trägt: Sie könnte ihn den Job kosten, wenn es darum geht, neue Aufbruchstimmung zu erzeugen. Zwar können Heuberger vereinzelte Fehlerchen in der EM-Qualifikation angerechnet werden. Doch er hat stets die besten Spieler nominiert, die er zur Verfügung hatte, und sie so aufgestellt, dass sie Spiele wie gegen Montenegro hätten gewinnen müssen. Einzig: Sie taten es nicht.

Heuberger hat zweifellos talentierte Handballer in seinen Reihen, viele von ihnen wurden vor wenigen Jahren Juniorenweltmeister. Doch es fehlt ihm an Protagonisten, die jede Mannschaft braucht, die vorangehen und jüngere Kollegen führen. Nicht zwischen der 15. und 40. Minute, sondern kurz vor Ultimo, wenn die Schlusssirene naht, wenn es im Handball wirklich wichtig wird.

Wer auf den THW Kiel blickt, stellt fest, dass der Rekordsieger der vergangenen Jahre kaum wichtige Spiele verloren hat. Spieler wie Filip Jicha, Daniel Narcisse oder Marcus Ahlm haben in den entscheidenden Situationen immer die richtigen Schlüsse gezogen. Sie sind Führungsfiguren, haben den Punch, die Wettkampfhärte, das absolute Zutrauen in die eigene Stärke, auch kurz vor Schluss. Dies ist eine große Qualität. So etwas lässt sich kaum trainieren. Es ist eine Typfrage.

Als Deutschland 2007 Weltmeister wurde, hatte der damalige Bundestrainer Heiner Brand Typen wie Markus Baur und Christian Schwarzer in seinem Kader. Nicht jede Generation bringt solche Akteure hervor. Heuberger, der aktuelle Coach, muss es gerade leidvoll erfahren. Vielleicht wird ihm dieser Umstand - für den er nichts kann - sogar zum Verhängnis.

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