Süddeutsche Zeitung

Grünwalder Stadion:Verhältnismäßig verblüffend

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Das Münchner Kreisverwaltungsreferat sorgt bei den Fans des TSV 1860 mit einem Beschlussentwurf für Aufregung: Alle Heimspiele sollen zu Risikospielen erklärt werden.

Von Philipp Schneider und Markus Schäflein

Dem Münchner Stadtrat lag am Dienstag ein Beschlussentwurf zur Stadionordnung des Stadions an der Grünwalder Straße vor, der es in sich hatte. Er enthielt nämlich den Satz: "Als Risikospiele gelten alle Spiele von Herrenmannschaften im Grünwalder-Stadion." Das sorgte für helle Aufregung bei den Anhängern des TSV 1860 München; die Gruppierung "Löwenfans gegen Rechts" teilte mit, es werde "suggeriert, in Giesing könne man sich an Spieltagen nicht mehr aus dem Haus trauen". Der Verdacht liege nahe, dass die Münchner Polizei "durch das Befürworten der Einordnung von allen Spielen als Risikospiele ihre meist übertriebene Anwesenheit bei Fußballspielen rechtfertigen will".

Der Stadtrat vertagte seine Entscheidung dann auf September, was kein Problem darstellt angesichts der Tatsache, dass bis dahin ohnehin nur Geisterspiele stattfinden. "Bis dahin ist das einzige Risiko im Grünwalder Stadion, dass die Löwen verlieren", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter. Dagegen hilft allerdings auch der schönste Stadtratsbeschluss nicht.

Um (Hoch-)Risikospiele im fußballfachlichen Sinne geht es nicht, vor zusätzlichen Kosten für verstärktes privates Sicherheitspersonal muss sich der TSV 1860 also nicht fürchten. Die Fans hingegen sorgen sich, dass ihnen das Spieltagserlebnis im Stadtteil durch massive Polizeipräsenz künftig auch ohne Anwesenheit rivalisierender Gastfans regelmäßig vermiest werden soll. Der Beschlussentwurf soll noch einmal umgeschrieben werden, um herauszuarbeiten, worum es zentral geht: Bisher kommt der erweiterte Geltungsbereich der Stadionordnung für das Umfeld des Stadions nur für ausgewählte Risikospiele zur Geltung. In dieser Saison war er für sechs Partien vorgesehen, zum Beispiel für das Derby gegen den FC Bayern II oder für die Spiele gegen Magdeburg und Mannheim. Der erweiterte Geltungsbereich soll künftig bei allen Spielen angewendet werden.

Bis September "ist das einzige Risiko, dass die Löwen verlieren", sagt Oberbürgermeister Reiter

Er dehnt sich aus bis zu den drei U-Bahn-Stationen Wettersteinplatz (südlich), Candidplatz (westlich) und Silberhornstraße (nördlich). Insbesondere letzterer Bereich ist entscheidend, da sich dort die zahlreichen Kneipen befinden, in und vor denen sich die 1860-Fans treffen. "Da gilt dann ein Glasflaschenverbot in Gruppen - und das betrifft auch Leute, die gar nicht im Stadion waren", meint Markus Drees, 1860-Verwaltungsrat und früherer Vorsitzender der Freunde des Sechzgerstadions.

Für die Anwendung des erweiterten Geltungsbereichs sei es zudem nicht nötig, jedes Spiel dramatisch zu einem Risikospiel zu erklären, meint Drees: "Bei mir hat dieses Wording einen negativen Touch - zwei mal 19 Sicherheitsspiele sind den Anwohnern schwer zu vermitteln." Die zweite Mannschaft des FC Bayern spielt schließlich auch im Grünwalder Stadion. Ebenso sorgen die Begründungen für die geplanten Maßnahmen bei den Löwen für Erstaunen: So wird ein einzelner Rauchtopf genannt, der nach dem Relegationsspiel gegen Saarbrücken im Mai 2018 gezündet wurde, in der Ausnahmesituation der Aufstiegseuphorie; es wird mit Fehlverhalten von Gästefans des Halleschen FC im November 2018 argumentiert, das bisher ein Einzelfall geblieben ist. Seit 2017 spielt der TSV 1860 wieder in Giesing. Passiert ist bisher kaum etwas Entsetzliches, wenn man von manchen Leistungen der Mannschaft absieht.

Die Verfasser des ersten Beschlussentwurfs sahen das offenkundig anders und legten richtig los: "Aufgrund der Änderung, dass nunmehr alle Spiele der Herrenmannschaften als Risikospiele eingestuft werden, spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine große Rolle, da nun die Verbotsnormen des § 6 für alle Spiele (ausgenommen Jugend und Damen) gelten. Die Verhältnismäßigkeit ist hier gewahrt. Es gibt kein anderes geeignetes Mittel."

Jener Paragraf sechs regelt etwa, dass es verboten ist, Waffen mit sich zu führen, Pyrotechnik zu zünden, sich zu vermummen und "sich mit anderen zu einem gemeinschaftlichen friedensstörenden Handeln zusammenzuschließen". Vieles, das dort aufgeführt ist, ist ohnehin verboten; die Anwendung der Stadionordnung erleichtert jedoch möglicherweise die Ahndung von kleineren Verstößen als Ordnungswidrigkeiten statt in komplizierten Strafverfahren. Neu soll in Paragraf sechs aufgenommen werden, dass "das Durchreichen oder das Werfen von Gegenständen über die Außenumzäunung des Stadions" als Ordnungswidrigkeit behandelt werden kann.

Die "Löwenfans gegen Rechts" teilten hierzu mit: "Durch die Änderung wäre es künftig (...) nicht mehr legal, dass Bekannten, die zu spät kommen, ihre Eintrittskarte durch den Zaun gereicht wird - eine völlig harmlose Praxis, die Spiel für Spiel stattfindet." Begründet werde das künftige Verbot dadurch, dass "Fans beobachtet wurden, wie sie drei Kisten in das Stadion geworfen haben", schreibt die Gruppierung: "Später wurde Pyrotechnik eingesetzt. Ein Zusammenhang lässt sich aber nicht belegen." Nicht nur die Stadtverwaltung versteht sich eben auf verblüffende Formulierungen.

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SZ vom 17.06.2020
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