Süddeutsche Zeitung

Wechsel zur PSV Eindhoven:Götzes überraschender Schritt

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Der Ex-Dortmunder wechselt zu Trainer Roger Schmidt in die sportlich moderatere niederländische Liga und trifft bei PSV auf fünf deutsche Kollegen. Klub und Presse wirken so, als könnten sie es gar nicht fassen.

Von Ulrich Hartmann

Als dem Leverkusener Trainer Peter Bosz vor einigen Wochen die Fragen nach der Zukunft seines besten Fußballers Kai Havertz auf die Nerven gingen, machte er sich Luft mit einem schönen Gag: "Ich kann Euch mitteilen, dass Kai nächste Saison bei Heracles Almelo spielt", sagte Bosz bierernst und sorgte unter den Journalisten für lautes Gelächter. Der große Kai Havertz in der kleinen niederländischen Eredivisie - dieser Gedanke klang zum Schreien komisch.

Sogar in Almelo haben sie über den Gag gelacht, so absurd war der Gedanke. Vielleicht klang auch deshalb bei der PSV Eindhoven am Mittwoch leichtes Unverständnis durch, als dem noch prominenteren Fußballer Mario Götze die Gretchenfrage gestellt wurde. "Wie kam es, dass Du Dich für PSV entschieden hast?", wurde der 28-Jährige in seinem ersten Interview als neuer Spieler des niederländischen Erstligisten skeptisch gefragt - vom hauseigenen Klub-TV, wohlgemerkt. In Eindhoven können sie ihr Glück kaum fassen, mit dem Siegtorschützen des WM-Finales von 2014 einen Fußball-Helden aus dem Nachbarland angelockt zu haben. "Der Trainer Roger Schmidt, die Fans, der Klub, die Ambitionen ...", begann Götze also aufzuzählen - und er fasste mangels tiefer greifender Argumente schnell zusammen, es sei das "Gesamtpaket", das ihn reize.

Eindhoven liegt eine dreiviertel Autostunde hinter der deutschen Grenze. Es ist die größte Stadt der Provinz Nord-Brabant und damit momentan coronabedingtes Risikogebiet. Es macht für deutsche Fußball-Fans vorerst also keinen Sinn, nach Eindhoven zu pilgern, um den örtlichen Erstligisten zu bestaunen, der nicht nur von einem deutschen Trainer gecoacht wird, sondern in dessen Kader sich allmählich eine große deutsche Fraktion ansammelt: die Torhüter Lars Unnerstall und Vincent Müller, die Abwehrspieler Philipp Max und Timo Baumgartl, der frisch vom FC Bayern ausgeliehene Mittelfeldspieler Adrian Fein - und nun also sogar Mario Götze. Der Werksklub PSV (Philips Sport Vereniging) ist für deutsche Fans eine Sehenswürdigkeit geworden.

Der Trainer Schmidt, der nach Stationen in Leverkusen und China keine geeignete Position im deutschen Fußball fand, hat 60 Kilometer hinter der Grenze seinen eigenen Kader mit deutschen Topspielern zusammengebaut. Dass man in dieser Konstellation in der sportlich eher so mittel beleumundeten Eredivisie spielt, könnte einem Fußballer wie Götze vielleicht sogar gerade gefallen.

"Wir sind sehr stolz", sagte PSV-Sportdirektor John de Jong

Seit er nach je drei Jahren bei Borussia Dortmund und beim FC Bayern 2016 zum BVB zurückgekehrt war, handelten die meisten Geschichten über ihn vom schwierigen Kampf um Anerkennung und um einen Stammplatz. Götze passte - auch nach einem längeren krankheitsbedingten Ausfall - weder dem Trainer Thomas Tuchel noch dessen Nachfolgern Peter Bosz und Lucien Favre so recht ins Konzept. Folglich zeigten die meisten Schnappschüsse den WM-Helden Götze auf der Dortmunder Ersatzbank, und die spannendsten Spekulationen waren zuletzt jene, zu welchem Klub Götze wohl wechselt, nachdem im Sommer sein Vertrag ausgelaufen war.

Es ist am Ende kein Bundesligist geworden - also nicht die wohl mehr oder weniger stark interessierten Klubs Hertha BSC oder Bayer Leverkusen. Und es ist auch kein Klub aus einer der anderen vier europäischen Top-Ligen - England, Spanien, Italien oder Frankreich - geworden. Dass Götze in die Niederlande wechselt zu einem Verein, der zuletzt vor zweieinhalb Jahren Meister war und zuletzt vor vier Jahren die K.o.-Runde der Champions League (Achtelfinal-Aus) erreicht hatte - das überrascht dann doch, zumal Götze unlängst geäußert hatte: "Ich will unbedingt noch die Champions League gewinnen, ich will meine Karriere nicht beenden, ohne diesen Titel einmal gewonnen zu haben." Eindhoven spielt in der Europa League.

"Wir sind sehr stolz", sagte PSV-Sportdirektor John de Jong, nachdem Götze am Dienstagabend einen Zweijahres-Vertrag unterschrieben hatte. Rein sportlicher Natur können Götzes Gründe für den Wechsel nicht gewesen sein, da müssen auch emotionale Faktoren hineingespielt haben, etwa der deutsche Trainer und die Nähe zur Heimat. Und tatsächlich sagte Götze: "Ich hatte viele Angebote, aber ich bin ein Gefühlsmensch, und ich fühle mich bereit für eine ganz andere Herausforderung. Ich bin zuversichtlich, dass dies ein sehr angenehmer Übergang für mich sein wird."

Nun ist "angenehm" eine Vokabel, die man in der Branche leicht mit der negativ besetzten "Komfortzone" verbindet - und wohin ihn der angenehme Übergang führen soll, hat Götze auch nicht erläutert. Die niederländische Presse ist jedenfalls begeistert: "Super-Stunt met Super-Mario", titelte De Telegraaf, das bedeutete in etwa: Kunstgriff mit Götze! Der deutsche WM-Held muss jetzt beweisen, dass er den niederländischen Fußball ernst nimmt.

"PSV passt zu meinem Stil", sagt Mario Götze und meint damit womöglich, dass ihm das etwas gemächlichere, technisch aber sehr anspruchsvolle Spiel in der Eredivisie entgegenkommen könnte. Sollte er dort tatsächlich sein Glück finden, wechselt Kai Havertz vielleicht eines Tages nach Almelo.

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