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Gladbacher Debakel gegen Freiburg:"Ein absolut surreales Erlebnis"

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Der SC Freiburg siegt mit 6:0 in Mönchengladbach - und verpasst der desolaten Borussia die höchste Heimniederlage seit 1966.

Von Ulrich Hartmann

Als der Fußballtrainer Christian Streich vor einiger Zeit erfahren hatte, dass sein SC Freiburg am 5. Dezember ein Spiel bei Borussia Mönchengladbach bestreiten muss, da war er ein bisschen enttäuscht. Er hätte just an jenem Sonntagabend nämlich gerne ein Konzert des amerikanischen Jazz-Gitarristen Marc Ribot im schweizerischen Biel besucht. Von Freiburg nach Biel hätte er nur 160 Kilometer fahren müssen.

Statt alleine nach Biel zu einem kulturellen Höhepunkt ist Streich am Sonntag also mit dem Tross des SC Freiburg 500 Kilometer zu einem Fußballspiel an den Niederrhein gereist. Aber einen besseren Trost als dieses Spiel hätte er sich nicht vorstellen können.

Nach 85 Sekunden führte seine Mannschaft 1:0 (Maximilian Eggestein), nach vier Minuten 2:0 (Kevin Schade), nach 12 Minuten 3:0 (Philipp Lienhart), nach 19 Minuten 4:0 (Nicolas Höfler), nach 25 Minuten 5:0 (Lucas Höler) und nach 37 Minuten 6:0 (Nico Schlotterbeck). Ein halbes Dutzend Tore in der ersten Halbzeit in Mönchengladbach - man müsste beim Konzert eines schrillen Avantgarde-Gitarristen schon das eine oder andere konsumieren, um in einen ähnlich rauschhaften Zustand zu kommen. "Ein absolut surreales Erlebnis", nannte der Abwehrspieler Schlotterbeck die Partie.

Als diese eine Stunde später abgepfiffen wurde, lautete auch das Endergebnis angesichts einer erwartbar stoischen zweiten Halbzeit 6:0 für Freiburg. Nach zuvor drei Niederlagen in Serie (1:2 in München, 0:2 gegen Frankfurt, 1:2 in Bochum) haben die Breisgauer ihren vierten Tabellenplatz verteidigt und sich eindrucksvoll aus einer Mini-Ergebnis-Krise befreit.

Schwierig könnte die neue Woche hingegen in Mönchengladbach werden. Acht Tage nach der schon sündhaften 1:4-Niederlage im Prestigederby beim 1. FC Köln waren die elf Gladbacher Startspieler am Sonntag gegen Freiburg zwar körperlich, aber kaum geistig anwesend. Nach nur 29 Minuten mussten der Rechtsverteidiger Stefan Lainer und der Stürmer Alassane Plea vom Platz und wurden durch Patrick Herrmann und Breel Embolo ersetzt. Immerhin: Danach ließen die Gladbacher nur noch ein Gegentor zu. Aber erträglicher machte das die Lage auch nicht. Am Ende wurde es die höchste Heimniederlage seit 1966 (0:7 gegen Bremen). "Wahnsinn", klagte Jonas Hofmann, "desolat."

Es gibt keine Wutanfälle und keinen Gesprächskreis, nur erhobene Arme und zuckende Schultern

0:5 nach 25 Minuten hat in einem Heimspiel in der Bundesliga noch nie eine Mannschaft zurückgelegen. Am Spielfeldrand stand mit versteinertem Gesicht der Trainer Adi Hütter, auf der Bank saß konsterniert der Sportdirektor Max Eberl, und auf der Ehrentribüne sah man den Vorstands-Granden Hans Meyer und Rainer Bonhof an, dass sie mit der Sache am liebsten gar nichts zu tun hätten.

Die Gladbacher unten auf dem Rasen standen unter Schock. Es gab keine echten Wutanfälle und keinen spontanen Gesprächskreis, nur erhobene Arme und zuckende Schultern. Beim Gang in die Pause wurde der Stürmer Embolo vom Freiburger Trainer Streich umarmt und getröstet. Viele der gut 10 000 Zuschauer pfiffen.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit stand Streich am Spielfeldrand, trieb seine Mannschaft an und schrie: "Vollgas!" Er hatte seinen Spielern in der Pause offenbar nicht die Erlaubnis gegeben, den Gladbachern eine noch schlimmere Demütigung zu ersparen. Frust über das verpasste Gitarrenkonzert kann es aber nicht gewesen sein, denn nach steigenden Inzidenzen hätte er von Deutschland aus ohnehin nicht ins Konzert nach Biel gedurft. Das hatte er schon vor dem Anpfiff beim Sender Dazn verraten. Alles nicht so schlimm, also.

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