Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Kleben und kleben lassen

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48 WM-Teilnehmer? Das verwässert nicht nur das Turnier, sondern alles, was mit ihm zu tun hat. Ja, auch dies: die Freude auf die Sammelbilder.

Kommentar von Holger Gertz

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko spielten 16 Mannschaften mit, entsprechend übersichtlich ist das allererste von Panini herausgegebene WM-Sammelalbum. Wappen, Teamfoto, elf Fußballer pro Team plus zwei, drei Ersatzspieler, fertig. Die Bilder sehen so aus, als wären sie per Hand nachgemalt oder in großer Eile aufgenommenen worden. Auf dem Uwe-Seeler-Bild befindet sich im Hintergrund ein Mann, der aussieht wie Salvador Allende.

In den Jahren danach hat Panini die Ausweitung der WM schon vorweggenommen, indem der Weltpokal mit eigenen Bildern geehrt wurde und auch das Maskottchen. Die Sammelalben wurden dicker und dicker, aus Broschüren wurden erst Hefte und dann Hardcoverbücher. In dieser Woche nun hat die Fifa beschlossen, die Weltmeisterschaft ab 2026 mit 48 Teilnehmern auszuspielen, sie hat damit den jederzeit expansionsbereiten Sammelbilderhersteller geschmeidig überholt. Je nach Verlauf der Qualifikation wird man auch den Kadern der Nationalmannschaften von Burkina Faso, den Niederlanden sowie St. Vincent und den Grenadinen einen Platz im Album reservieren müssen. St. Vincent und die Grenadinen liegen im Moment auf Platz 180 in der Weltrangliste, aber bis 2026 ist ja noch Zeit zum Reifen.

St. Vincent und die Grenadinen im Album 2026: 20 Spieler, dazu ein Glitzerbild des Stars Oalex Anderson, der ist dann 30 und kann locker noch mitspielen. Verbandswappen, vierteiliges Mannschaftsfoto, sind schon mal 26 Panini-Bilder. Hochgerechnet auf 48 Teilnehmer wären das 1248 Sticker, dazu noch Aufnahmen der Stadien, Höhepunkte der vergangenen Weltmeisterschaften, ein zehnteiliger Starschnitt von Gianni Infantino sowie Bewegungsstudien vom Maskottchen der Mammut-WM 2026, einem Mammut. Kommt man insgesamt - leicht - auf 1400 Bilder, allein am Mammut kleben sich die Leute einen Wolf.

1400 Bilder? Wie soll man da eine Beziehung aufbauen?

1400 Bilder allerdings sind ein Irrsinn: Wer soll das bezahlen? Und wie soll man eine Beziehung aufbauen zu den Sammelbildern? Wer sammelt, wird die Gesichter auf den Fußballbildern nicht vergessen. Ein Sammelbilderalbum wird, während der Zeit des Sammelns, zu einem Familienalbum. Und nur der ist ein wahrhaftiger Sammler, der noch weiß, an welchem verdammten Tabakladen er den letzten fehlenden Sticker der Kollektion Argentina 78 aus der Tüte gefingert hat. Der Autor Josh Wilker hat in seinem wunderbaren Buch Cardbord Gods über seine Baseballkarten-Sammlung geschrieben, die er als Kind angelegt hat - einige der bizarrsten Spielergesichter sind in diesem Buch abgebildet. "Ich lernte von meinen Karten, dass einige Leute besonders sind. Andere sind es nicht. Ich begriff: Einige Dinge sind schön. Andere sind hässlich."

Kann sein, dass das schon wieder sentimental ist, aber die schiere Masse verwässert nicht nur die WM, sie verwässert alles, was mit der WM zu tun hat, sie macht das Weltmeisterschafts-Album zwar dicker, aber auch anonymer. Unmöglich, sich so viele Gesichter einzuprägen.

Es gibt nicht viele Regeln, an die man sich halten muss - Überfüttern verboten ist eine. Sie wird allerdings immer gebrochen, und so ist die Aussicht auf das Sammelbilderalbum 2026 ein bisschen so wie die Aussicht auf die gesamte Weltmeisterschaft. Man wird sich das Ding besorgen, man wird auch ein paar Bilder einkleben. Man wird den Kapitän von St. Vincent und den Grenadinen schnell dreimal haben, und irgendwann wird man das Album halbleer bei Ebay einstellen und 5,80 Euro dafür kriegen.

Das Uwe-Seeler-Sammelbild von 1970, mit Salvador Allende im Hintergrund, hat neulich 44 Euro gebracht.

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Quelle:
SZ vom 14.01.2017
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