Süddeutsche Zeitung

Debatte über Katar:Das wesentliche Problem der Winter-WM

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Die Beschwerden über die Belastung durch die Weltmeisterschaft in Katar sind berechtigt - doch die Kritik kommt zwölf Jahre zu spät. Über eine wichtige, aber auch wichtigtuerische Debatte.

Kommentar von Philipp Selldorf

"Fußball, Fußball, Fußball, essen, schlafen, Fußball, Fußball". Mit diesem aphoristischen Ausruf hat neulich Freiburgs Trainer Christian Streich sein Programm bis zur Weltmeisterschaftspause beschrieben. Dem Sportclub und den sieben anderen Europacupteilnehmern der Bundesliga stehen nach der laufenden Länderspielrunde 13 Spiele binnen sechs Wochen bevor. Danach dürfen sich Freiburgs Profis ausruhen, es sei denn, sie nehmen an der WM teil. Dort rollt der Ball täglich weiter, bis zum Endspiel am vierten Advent.

Im Prinzip also wunderbare Aussichten fürs eingeschworene Fußballpublikum, auch wenn sich einige Leute vielleicht jetzt schon angstvoll fragen, wie sie die Lücke zwischen dem 18. Dezember und dem zweiten Weihnachtsfeiertag schließen sollen, bis die Premier League den "Boxing day" zelebriert.

Aber wer nicht imstande oder entschlossen ist, das hiesige Debattenbrausen zum Thema Katar zu ignorieren, dem fällt das Genießen schwer. Der Grad der Akzeptanz im Publikum liegt im Diffusen und wird sich erst anhand der Einschaltquoten erhellen. Die schon jetzt umfassende Präsenz der Kritik am WM-Austragungsort macht unbeschwerte Vorfreude aber mindestens schwierig. Auf manche Diskussionen lässt sich allerdings auch gut verzichten, sowohl im politischen wie im sportlichen Fach.

Während Christian Streich zum Akkordprogramm fröhlich feststellte, für ihn gebe es Schlimmeres als pausenlos Fußball, empören sich jetzt seine Kollegen über die Hatz, als hätten sie erst vorgestern von der WM erfahren. Die Grenze der Belastbarkeit für die Profis sei sowieso schon "überschritten", meinte etwa Frankfurts Coach Oliver Glasner - "und dann knallt man noch eine WM im Winter raus!"

Weniger Stress wäre möglich - dann sinken aber auch Einnahmen und Löhne

Rausgeknallt hat die Fifa den Plan zur Winter-WM im Februar 2015. Die Betroffenen hatten also durchaus Zeit, sich einzustellen. Beschwerden über Überbelastung mögen berechtigt sein, sind aber auch nur ein Allgemeinplatz. Wollte man den Stress wirklich reduzieren, müsste die Branche das Prinzip des Wachstumskurses aufgeben und sich zur Reduzierung von Einnahmen und Löhnen bekennen. Geringere Zahlungen an Spieler und Trainer wären eine Lösung für ein gesünderes Fußballsystem - aber was halten Spieler und Trainer davon? Nicht viel.

Glasner hat letztlich bloß in den Chor derer eingestimmt, die überzeugt sind, die einzig wahre Sicht der Dinge zu vertreten. Von diesen gibt es hierzulande gar nicht wenige. Als jetzt die Nationalelf mit naivem Stolz eine bunte Armbinde präsentierte, die Kapitän Manuel Neuer während der WM tragen wird, um für Vielfalt und gegen Diskriminierung einzutreten, gab es sofort Kritik wegen mangelnder Haltung - weil die Farben nicht die originalen Regenbogenfarben sind. Der DFB konterte, dafür seien es eben die Farben der Panafrikanischen sowie der "Pansexual"-Flagge und somit außer dem Signal für sexuelle Freiheit auch eines gegen Rassismus. Man sieht: Die Zeichensprache der korrekten Gesinnung ist komplex und das Sendungsbewusstsein jeweils hoch. Die TSG Hoffenheim hat angekündigt, auf ihren Kanälen demonstrativ nicht zu berichten, was die TSG-Spieler bei der WM sportlich leisten.

Wo die Katar-Debatte wichtig ist und wo sie wichtigtuerisch wird, das ist nicht immer einfach zu erkennen. Ein wesentliches Problem hat Joshua Kimmich gerade benannt: Boykottaufrufe kämen zwölf Jahre zu spät - zwölf Jahre nach dem Beschluss für Katar.

Christian Streich hatte schon 2015 Katar für den falschen Austragungsort erklärt. Dann merkte er allerdings an, dass selbst ein Land wie die USA politisch nicht unbedenklich sei. Drei Jahre darauf eröffnete die Fifa den nächsten Debattenschauplatz, indem sie die WM 2026 neben Mexiko und Kanada an die USA vergab.

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