Süddeutsche Zeitung

Japans Trainer Moriyasu:Held der Handschrift

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Deutschland-Bezwinger Japan hat zwar das WM-Viertelfinale nicht erreichen können. Dafür hat Nationaltrainer Hajime Moriyasu eine Schreibwaren-Firma sehr glücklich gemacht.

Glosse von Thomas Hahn, Tokio

Was ist eigentlich aus dem Deutschland- und Spanien-Bezwinger Japan geworden? Das letzte Mal bei dieser WM sah man das Team nach dem verlorenen Elfmeterschießen im Achtelfinale gegen Kroatien. Und jetzt? Wurden die Spieler mittlerweile in Tokio mit Gold aufgewogen für ihren überraschenden Gruppensieg? Oder im Gegenteil wegen des verpassten Viertelfinals ins Straftrainingslager auf die Senkaku-Inseln geschickt?

Beides falsch. Die Menschen in Japan waren weder sauer noch begeistert nach dem WM-Aus. Empfangen wurde die Mannschaft am Mittwoch am Flughafen Narita von etwa 650 Fans, was sicher kein Rekord ist. In Tokio hatten die meisten was anderes zu tun, als verliebt um ihre Lieblingsachtelfinalisten zu tänzeln. Außer den harten Fan-Zirkeln war wohl nur noch der große Schreibwarenhersteller Kokuyo aus Osaka nachhaltig betört. Aus gutem Grund natürlich.

Die Firma ist seit 117 Jahren im Geschäft, wobei das Computerzeitalter nicht lustig sein kann für sie. Im Vergleich zum internetfähigen Tablet hat das Notizbuch eben ein paar Nachteile. Umso größer war das Entzücken im Unternehmen, als bei der WM die Feldrand-Routine des Japan-Trainers Hajime Moriyasu auffiel. Moriyasu notierte immer wieder etwas in ein Buch - und zwar angeblich in ein Kokuyo-Produkt der Linie "Campus", Größe B6 mit 6-Millimeter-Linierung. Laut der Zeitung Asahi ist in der Firma bekannt, dass Moriyasu ein solches Notizbuch oft benutzt; auf den WM-Fotos sieht man nicht, ob Moriyasu besagte Ware oder einen Waschzettel beschreibt.

Kostenlose Werbung ist viel wert. Kokuyo ist "wirklich glücklich" - nach all den Entbehrungen, wie ein Sprecher erklärte: "Durch die Digitalisierung haben die Menschen immer weniger Gelegenheit, in ein Notizbuch zu schreiben." Der Fußball als Chance für das Papier - und das Papier als Chance für den Fußball, das wollte der Sprecher schon auch noch sagen: "Wir glauben, dass Moriyasu die Macht des Notizbuches gespürt hat." Klar.

Jeder macht eben das Seine aus so einer WM. Haarfärber fühlen sich durch den Anteil an Blondschöpfen im Nippon-Team bestätigt. Psychologen sehen eine Marktlücke bei der Betreuung japanischer Elfmeter-Schützen. Und Hajime Moriyasu ist nun also der Held der Handschrift. Zumindest bis ein Tablet-Hersteller kommt und ihm einen Sponsorenvertrag gibt.

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