Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM: Holland:Mit deutschen Genen

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Holland steht nach dem 3:2 gegen Uruguay im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Sie erreicht das Endspiel mit Tugenden, auf die gemeinhin deutsche Nationalmannschaften das Urheberrecht haben.

Jürgen Schmieder

Wer dieses Halbfinale nicht live sehen konnte, sondern hinterher auf die Statistik und die Höhepunkte blickte, der könnte sich gedacht haben: Na ja, typisches Holland-Spiel. Traumtor von Giovanni van Bronckhorst, schöner Schlenzer von Wesley Sneijder zum 2:1, Entscheidung durch Arjen Robben per Kopf nach ansehnlicher Kombination. Und mit zwei grotesken Gegentreffern ist bei der Elftal ja auch immer zu rechnen. Also: 3:2 für Holland, Oranje steht zum dritten Mal nach 1974 und 1978 im Finale einer Weltmeisterschaft.

Wer die Partie gegen Uruguay - und auch die Spiele zuvor bei diesem Turnier - indes betrachten konnte, der dürfte festgestellt haben, dass die Elftal 2010 mit den Mannschaften Hollands, die bisher ein WM-Finale erreichten, ungefähr so viel gemein hat wie der Jabulani mit dem Spielball des Turniers 1974. Diese holländische Mannschaft ist ins Endspiel eingezogen mit Tugenden, auf die gemeinhin deutsche Nationalmannschaften das Urheberrecht haben. "Heute war es nicht super, aber wir stehen im Finale", sagte Mark van Bommel nach dem Spiel. "Wir haben ruhig gespielt und Ordnung gehalten."

"Dann hau ihn aufs Tor"

Es war kein fußballerischer Leckerbissen, den die Elftal ihren zahlreichen Fans in Kapstadt servierte. Es war vielmehr eine Mischung aus Einsatz, Spielkontrolle - und der Fähigkeit, genau dann Tore zu erzielen, wenn es nötig ist und kaum jemand damit rechnet. Und so gesehen war der 37-Meter-Hammer von van Bronckhorst nach 18 zerfahrenen Minuten auch kein Traumtor im holländischen Sinne: Es war nicht herausgespielt, nicht kreativ - vielmehr hatte es den Anschein, als hätte der Torschütze die Regel eines jeden deutschen Kreisliga-Trainers befolgt: "Wenn du nicht weißt, wohin mit dem Ball, dann hau ihn aufs Tor."

Freilich hat diese holländische Elf mit Wesley Sneijder, Arjen Robben und Rafael van der Vaart Spieler im Kader, die der niederländischen Fußballphilosophie sehr nahe kommen, doch wird das Spiel dieser Mannschaft nicht von diesen Akteuren geprägt, sondern von Kapitän Mark van Bommel oder dem biederen Flankenläufer Dirk Kuyt. "Ich mag den schönen Fußball", sagte Trainer Bert van Marwijk nach dem Halbfinale. "Aber ich mag auch gewinnen."

"Vielleicht sehen wir uns"

Zwischen der 35. und der 70. Spielminute schoss die Elftal kein einziges Mal aufs Tor, und dem erneuten Führungstreffer in der zweiten Halbzeit ging kein formidabler Spielzug voraus. Sneijder kam nach einem Gewühl im Strafraum an den Ball - und auch er hielt sich an die Kreisliga-Trainer-Regel: Der Schuss prallte an den Fuß eines uruguayischen Spielers, dann an den Fuß eines anderen uruguayischen Spielers und trudelte von dort ins Tor. Nur der dritte Treffer der Elftal erinnerte an die Klischees, die man gemeinhin mit holländischem Fußball verbindet - Robbens Kopfball war jedoch erst der zweite Torschuss in der zweiten Halbzeit.

Holland steht verdient im Finale, weil es der Elf gelang, bislang jeden Gegner zu dominieren und weil sie sich etwa im Viertelfinale gegen Brasilien nicht aufgab, sondern ins Spiel zurückkämpfte. "Wir haben bei diesem Turnier sechs Mal gewonnen, also stehen wir auch verdient im Endspiel", sagte Mark van Bommel. Punkt. Aus.

Es gibt in Holland eine Redewendung über die deutsche Nationalelf, sie lautet: "Bevor wir so spielen wie ihr, scheiden wir lieber früh aus." Nun sagte Bert van Marwijk nach dem Halbfinale: "Den schönsten Fußball spielen derzeit die Deutschen, wir stehen im Finale. Vielleicht sehen wir uns ja." Es ist eine verkehrte Fußballwelt derzeit - und es würde nach dem Finale nicht verwundern, müsste man noch eine Fußballfloskel umschreiben: "... und am Ende gewinnen die Holländer."

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