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Die Halbfinalistinnen der WM:Englands Antreiberin auf Umwegen

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Aufgrund von Verletzungen übernimmt Georgia Stanway im englischen Mittelfeld mehr Verantwortung - und verkörpert die neue taktische Flexibilität der Europameisterinnen.

Von Anna Dreher, Sydney

Das Viertelfinale gegen Kolumbien war schon einige Minuten vorbei, aber Georgia Stanway schien noch immer im Tunnel zu stecken. So, als müsse sie gleich wieder auf den Platz zurück. Verarbeitet hatte die Fußballerin den 2:1-Sieg der Engländerinnen bei der Weltmeisterschaft jedoch. Ihr Team habe das Spiel gut kontrolliert, fand sie, das Selbstbewusstsein sei jetzt groß. "Wir sind stolz, es ins Halbfinale geschafft zu haben", sagte Stanway, stellvertretend für eine Mannschaft, in der sie wieder mehr zum Fixpunkt geworden ist.

Beim Gewinn der EM im eigenen Land hatte Stanway vor einem Jahr eine zentrale Rolle eingenommen. Nun, bei der WM, ist das wieder der Fall, auf einer anderen Position als eigentlich vorgesehen. Im defensiven Mittelfeld war Keira Walsh erste Wahl. Doch sie verletzte sich im zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark. Dabei fehlt im Zentrum bereits die versehrte Anführerin Leah Williamson. Bayern-Spielerin Stanway rückte von der Achterposition weiter nach hinten und war überhaupt stärker gefordert. "Ich spüre großes Selbstvertrauen in mein Spiel und hatte nach der EM konstante Leistungen", sagte die 24-Jährige während der Vorrunde. "Ich versuche einfach, das Momentum zu wahren und habe das Gefühl, meine Führungsqualitäten mit meiner Spielweise bewiesen zu haben."

Dem Spiel des englischen Nationalteams hat die Umstellung nicht geschadet, Stanway ebenso wenig. Gegen Kolumbien beispielsweise kam der Pass, der das 2:1 durch Alessia Russo einleitete, von ihr. Entgegen ihres neuen Profils, das Stanway nun eigentlich erfüllen soll, bewegte sie sich auch viel auf der Außenbahn. Immer stark im Zweikampf, immer wieder die Offensive antreibend. So souverän Stanway nun Walsh vertritt, so selbstverständlich geht der Kader mit der Umstellung um. Dabei ist Sarina Wiegman eine Trainerin, die gerne an ihrem Plan festhält.

Die Engländerinnen sind der Favoritenrolle bislang gerecht geworden

Weil das nicht mehr ging, reagierte sie auf Ausfälle und Gegnerinnen, änderte die Vierer- in eine Dreier-Abwehrkette, aus der bisweilen eine Fünferreihe wurde. Anders als bei der EM 2022 ist die taktische Flexibilität zum Markenzeichen der Engländerinnen geworden - ein Umstand, den auch Stanway verkörpert. Die große Frage ist, ob damit nach dem dritten Halbfinaleinzug in der Historie der "Lionesses" der nächste Schritt gelingen wird.

Sie sind als großer Titelkandidat angereist und - im Gegensatz zu Deutschland, Olympiasieger Kanada, Brasilien und den USA - ihrer Rolle bislang gerecht geworden, wenn auch mit Mühe. "Diese WM ist unglaublich herausfordernd", sagte Wiegman. "Kein Ergebnis konnte vorausgesagt werden. Wir hatten sehr harte Spiele. Das Niveau ist so gestiegen, das ist wirklich aufregend." Sollte es fürs Finale reichen, würde sich ihr Erfolgsmuster wiederholen: Mit den Niederlanden gewann sie 2017 die EM und wurde 2019 im WM-Finale erst von den Amerikanerinnen gestoppt. Dann der EM-Triumph mit England. Und nun warten am Mittwoch (12 Uhr, ARD) die nicht zuletzt von der heimischen Kulisse enorm aufgepeitschten Australierinnen. Vielleicht blieb Georgia Stanway deshalb gedanklich in ihrem Tunnel: Ihre Aufgabe ist noch nicht zu Ende.

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