Süddeutsche Zeitung

Auslosung zur Fußball-WM:Kleiner Gruß an Jogi Löw

Lesezeit: 4 min

Spanien, Japan und Costa Rica oder Neuseeland: Die deutsche Nationalmannschaft erwischt eine Vorrundengruppe, vor der es Hansi Flicks Vorgänger lustvoll gegruselt hätte. Die DFB-Delegation kann nun ihre Planungen forcieren.

Von Christof Kneer

Bevor er eine Rede hielt, sagte Tamim bin Hamad Al Thani, der Emir von Katar: "Die Reden interessieren niemanden, die Leute wollen die Lose sehen." Zur Ehrenrettung des Staatsoberhauptes muss man festhalten, dass er sich dann wirklich kurz fasste. So ein Emir weiß offenkundig, wann es sich lohnt zu schweigen, mit feinem Sinn für Dramaturgie ließ er den Satz des Abends noch ein wenig nachhallen. Der Satz stammte von seinem Vorredner Gianni Infantino, dem Staatsoberhaupt des Emirats Fifa, allerdings litt dieser Satz ein wenig darunter, dass Infantino ihn mit nicht so feinem Sinn für Dramaturgie schon tags zuvor beim Fifa-Kongress verraten hatte. Der Satz lautete: Das Turnier in Katar werde "die beste WM aller Zeiten" werden. Künftige Turniere hatte der weise Emir des Fußball-Weltverbands also schon mit einberechnet.

So eine WM-Auslosung ist üblicherweise eine heilige Handlung. Gebannt schaut die Fußballwelt in prächtig geschmückte Festhallen, die Fahnen der qualifizierten Nationen hängen selbstbewusst über prominenten Häuptern herum, und am Rande der roten Teppiche wird über Abendkleider, Einstecktücher und emeritierte Fußballhelden getuschelt, die sich ganz gut gehalten haben oder ganz schön feist geworden sind. Der Abend im Exhibition and Convention Centre von Doha/Katar gab sich alle Mühe, auch so ein Abend zu sein, aber angesichts aller Umstände wurde es doch ein Abend mit Schalldämpfer. Der Krieg in der Ukraine, die Menschenrechtslage im hoch umstrittenen Gastgeberland, die Art und Weise, wie Katar vor zwölf Jahren zu diesem Turnier gekommen war - all das musste immer mitgedacht werden, erst recht in Anwesenheit eines Funktionärs wie Infantino, der in seiner Begrüßungsrede erst zum Weltfrieden aufrief und anschließend meinte, man komme nun "zu den ernsten Dingen" - und damit, schon klar, die Auslosung meinte.

Zum Glück spazierte dann Didier Deschamps auf die Bühne, Trainer des amtierenden Weltmeisters Frankreich, und brachten den Goldpokal mit. Da stand er nun also, der Pokal, zum Greifen nah bei den Trainerkollegen, und lenkte den Blick auf den Sport.

Wie gerne hätte man gesehen, wie Louis van Gaal sich freut!

Etwas mehr als 2000 Menschen saßen im Saal und schauten Losfähnrichen wie Lothar Matthäus, Bora Milutinovic oder Jay Jay Okocha gespannt auf die Hände, zwei Menschen wurden in diesem Saal allerdings sehr vermisst. Wie glubschig-glücklich hätte der niederländische Nationaltrainer Louis van Gaal wohl geschaut, als er erfuhr, dass seine Prophezeiung ("wir kommen in die Gruppe von Katar, ich habe immer das Glück auf meiner Seite") in Erfüllung ging? Und wie geschockt-glücklich wäre Jogi Löw gewesen angesichts der Tatsache, dass die deutsche Nationalmannschaft zu den Spaniern, zu seinen Lieblingsspaniern, gelost wurde, und das auch noch von Lothar Matthäus? Hansi Flick, Löws ehemaliger Assistent und jetziger Nachfolger, gab sich enorme Mühe, neutral drein zu schauen. Er ist ein selbstbewusster Bundestrainer, aber Spanien als Kopf der Gruppe: Da wären einem spontan freundlichere Alternativen eingefallen.

Ein möglicherweise in der Jungsteinzeit entstandener Mythos besagt, dass die Deutschen stets von unverschämtem Losglück verfolgt seien, was zuletzt zwar gar nicht mehr gestimmt hat, aber auch ein bisschen wurscht ist. Schließlich haben die Deutschen bei der vergangenen WM eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass man auch in einer entspannteren Gruppe mit Mexiko, Schweden und Südkorea zwei Spiele verlieren und ausscheiden kann. Spanien, Japan und der Sieger des Playoff-Duells Costa Rica/Neuseeland: Über diese deutsche Gruppenkonstellation kann ab sofort also lebendig debattiert werden, von "ziemlich schwer" bis zu "passt schon" dürften alle Urteile genehmigt sein.

Erster Eindruck: Spanien befindet sich auf gutem Weg, wieder jenes Spanien zu werden, vor dem es Jogi Löw immer so lustvoll gruselte. Flick dürfte der gepflegt-dominante Spielstil der Spanier allerdings gar nicht so unrecht sein; Mannschaften, die scharf kontern, findet er deutlich unangenehmer. Dagegen dürften die Japaner ein komplizierterer Gegner sein, als es der erste Reflex nahelegt. Schon an diesem Samstag dürften die Fernsehkameras beim Bundesligaspiel in Bielefeld auf den Stuttgarter Kapitän Wataru Endo gerichtet sein, der sich bis dahin noch ein paar diplomatische Sätze überlegen kann.

In der Brasilien-Gruppe gibt es keinen einzigen Außenseiter

"Eine spannende Gruppe mit interessanten Aufgaben", bilanzierte Hansi Flick später und nannte Spanien "den Topfavoriten auf den Titel". Er müsse da "mit Lothar noch mal reden", scherzte er, aus Gründen der Verständlichkeit sollte er dann aber vom Dobbfavoriddn auf den Diddl sprechen. Der Realo Flick zählt allerdings nicht zu jenen Menschen, die nun vergleichende Ranglisten erstellen. Täte er dies, wäre er wohl zu dem Schluss gekommen, dass es auch noch schlimmer hätte kommen können. So besticht etwa die Gruppe G (Brasilien, Schweiz, Serbien, Kamerun) durch die Tatsache, keinen einzigen Außenseiter zu enthalten. In einem unbeobachteten Moment wird Flick aber vielleicht doch mal einen Blick auf den sogenannten Turnierbaum werfen und feststellen, dass im Achtelfinale schon Kroatien oder Belgien drohen könnten und im Viertelfinale, unter gewissen Umständen, Brasilien. Lauter Dobbfavoriddn.

Flick wird nun seine Planungen vorantreiben können, er weiß jetzt auch, dass sein Team am 23. November ins Turnier eingreifen wird. Für ein längeres Trainingslager wird es bei diesem relativ frühen Einstieg kaum reichen, vermutlich wird die deutsche Delegation frühzeitig zur WM anreisen und irgendwo im arabischen Raum noch ein Testspiel bestreiten - allerdings keinesfalls gegen die Japaner, was ursprünglich mal so eine Idee gewesen war. Weil: Siehe unter Gruppe E.

Katar sei das erste Ausrichterland, das nur so groß wie Nordhessen sei, wurde seit der WM-Vergabe gerne gespöttelt, ein Vergleich, den Nordhessen bisher mit erheblicher Lässigkeit ausgesessen hat. Dennoch wird der DFB-Quartiermeister Oliver Bierhoff nun Spielorte und Entfernungen prüfen und sich gemeinsam mit Hansi Flick bald auf ein Turnierquartier festlegen. Auch den DFB-Scouts steht eine Menge Arbeit bevor, sie werden bis zum endgültigem Playoff-Entscheid Costa Rica und Neuseeland studieren müssen. Mit Costa Rica als Gruppengegner hätte die DFB-Elf immerhin gute Erfahrungen. Die Gegneranalyse vor dem 4:2 im Auftaktspiel der WM 2006 fiel ins Ressort des damaligen Assistenten Jogi Löw. Den könnte man mal fragen, wenn er sich von seinem glücklichen Spanien-Schock erholt hat.

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