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Transfers in der MLS:Die nächste Welle Altstars

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In den USA verkaufen sie die Wechsel von Gareth Bale und Giorgio Chiellini zum Los Angeles FC sowie von Lorenzo Insigne zu Toronto FC als Win-Win-Win für Spieler, Vereine und Liga - doch so einfach ist das nicht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Ein Schlingel ist er ja schon, dieser John Thorrington. Es sei ihm schon klar, sagte der Manager des Los Angeles Football Club, dass sich Gareth Bale von diesem Wechsel in die nordamerikanische Fußballliga MLS vor allem Fitness und Matchpraxis für die WM im Herbst verspreche. Wales ist zum ersten Mal seit 64 Jahren qualifiziert, für den Kapitän soll das der Höhepunkt einer an Höhepunkten nun wahrlich nicht armen Laufbahn sein - es gibt da nur ein Problem: Die erste Partie in Katar absolviert Wales gegen die USA.

"Ich habe ihm gesagt, dass er auf dieses Spiel lieber mal verzichten soll", sagte Thorrington über die wohl nur recht kurze Verhandlung mit Bale, der von Real Madrid nach Los Angeles wechselt: "Und wir werden ihn so bearbeiten, dass er seine beste Form erst nach der WM erreichen wird." Genau deshalb sei das doch alles eine Win-Win-Win-Situation: für Bale, der in Madrid oft nur auf der Bank saß und nun ohne die Sommerpause in den europäischen Ligen direkt fit bleibt und Spielpraxis kriegt; für LAFC, das derzeit erfolgreichste Team der MLS, das einen 32 Jahre alten Weltstar bekommt und ihm in zwölf Monaten so viel bezahlt (1,3 Millionen Dollar), wie der davor in zwei Wochen verdient hat; und natürlich für die Liga, die nun sagen kann: Seht mal her, wie attraktiv wir sind für Leute, die schon alles gewonnen haben.

Es kommt ja nicht nur der Siegtorschütze des Champions-League-Finales 2018 zum LAFC, sondern auch Giorgio Chiellini, Kapitän der italienischen Europameister-Elf von 2021. Zu Toronto FC wechselt im Juli noch Lorenzo Insigne aus Neapel, das Jahresgehalt von 15 Millionen Dollar ist das höchste in der MLS. Gonzalo Higuain (Argentinien, Inter Miami) und Xherdan Shaqiri (Schweiz, Chicago FC) sind schon da. Und es gibt da noch immer das Gerücht, dass Lionel Messi auch deshalb ein Haus in Miami gekauft hat, weil er bald dorthin wechseln wird.

AFC kann noch einen teuren Spieler holen, um gerade mal vier Jahre nach der ersten Saison Meister zu werden

Eigentümer von Inter Miami ist: David Beckham, dessen Engagement bei Los Angeles Galaxy im Jahr 2007 die zweite Fußballer-Wechselwelle in die USA nach der Beckenbauer-Pelé-Ära der 1970er initiierte und für zahlreiche Regeländerungen sorgte. Inter Miami übrigens kriegt jetzt 50 000 Dollar von LAFC, weil Bale auch auf der Wunschliste von Beckham gewesen ist und der jetzt aufgrund der oft kruden MLS-Regeln eine Entschädigung bekommt. Diese Regeln muss man kennen, um zu verstehen, was gerade passiert in der MLS.

Für LAFC ergeben beide Transfers sportlich und strukturell tatsächlich Sinn, wie gerade die letzte Partie gegen die New York Red Bulls am Sonntag (2:0) zeigte: Es fehlt in der Defensive eine ordnende Hand wie Chiellini, und in der Offensive sind sie doch arg abhängig von den Geniestreichen von Carlos Vela, der das 1:0 vorbereitete, sich seiner Künste bewusst ist und kürzlich erst nach zähen Verhandlungen und einer saftigen Gehaltserhöhung (von 4,5 auf 6,3 Millionen Dollar pro Jahr) bis 2023 verlängert hat. Es fehlte einer wie Bale, und Vela soll bei den Gesprächen genau so einen Spieler gefordert haben. "Ich will hier nicht ohne Titel gehen", sagte er später.

Vela wusste, dass LAFC noch einen so genannten Designated Player Spot hatte. Die Gehaltsobergrenze liegt derzeit bei 4,9 Millionen Dollar pro Verein. Es gibt ein paar Ausnahmen, die wichtigste, vereinfacht beschrieben: Jeder Verein darf drei Spieler beschäftigen, deren Gehalt höher liegen darf und das nur zum Teil dem Salary Cap zugerechnet wird. Also kann Insigne 15, Shaqiri 8,5 und Higuain 5,1 Millionen verdienen. Bale kriegt 1,3 Millionen; das genaue Gehalt von Chiellini ist nicht bekannt, nur dass es weniger ist als 1,612 Millionen Dollar. Beide sind demzufolge keine Designated Player.

Das bedeutet, und Schlingel Thorrington hat bereits angekündigt, "sehr offen" dafür zu sein: LAFC kann noch einen teuren Spieler holen, um gerade mal vier Jahre nach der ersten Saison Meister zu werden. Der Verein war als Gegenentwurf zum Beckham-Luxus-Verein Galaxy geplant, der seine Heimspiele in einem Vorort im Süden austrägt. LAFC spielt Downtown, in einer schnuckligen Arena direkt neben dem Coliseum; sie feiern die mexikanische Fußballkultur und damit die Herkunft vieler Einwohner von Los Angeles durch Gesang und Trommelei auf der Tribüne, 90 Minuten lang. Der Mexikaner Vela ist auch deshalb ein Volksheld beim LAFC. Doch beginnen da die Fragen an die Transfers aus Europa.

Warum holen sie jetzt wieder alternde Stars aus Europa?

Sie wollen so was wie Fußballkultur etablieren in den USA und auch eine Spielidentität, auch wenn das ein wenig gewollt wirkt. Bei LAFC mit südamerikanischer Feierei auf den Tribünen stammt knapp die Hälfte der Spieler aus Südamerika, in Portland feiern sie Tore durch Holzfällerei im Fanblock und jede rustikale Grätsche wie ein Tor; in Miami wollen sie Zauberfuß-Attraktionen. Kansas City gilt als bodenständig und ist bekannt für die beste Jugendarbeit, auch deshalb gibt es eine lose Verbindung zum FC Bayern und dem Footballteam Chiefs. Warum also holen sie jetzt wieder alternde Stars aus Europa? Chiellini wird im August 38 Jahre.

Thorrington könnte die Gegenfrage stellen: Wo liegt in unserem Fall das Risiko? Sie geben ja tatsächlich keine Unsummen aus für Stars im Herbst der Karriere, sondern weniger als drei Millionen Dollar (plus die 50 000 Dollar an Beckhams Miami) für Bale und Chiellini. "Beide wissen, wie man Titel gewinnt", sagt LAFC-Trainer Steven Cherundolo, als Spieler einst 15 Jahre lang bei Hannover 96 tätig. Am 8. Juli könnte Cherundolo beide zum ersten Mal einsetzen, im Spiel, das jeder Fußballfan in LA im Kalender vermerkt hat: im El Tráfico, dem Stadtderby gegen Galaxy.

Und wenn das alles nicht klappt? Wenn Bale in Madrid doch zu Recht auf der Bank saß oder er bei LAFC nicht alles gibt, um sich - wie ihm ja bei Real vorgeworfen wurde, als er das 0:4 gegen Barca verpasste und ein paar Tage später für Wales spielte - für die WM zu schonen? Thorrington beantwortete diese Frage nicht, weil er zu sehr damit beschäftigt war, Bale zu loben. Ein Schlingel wie er hätte natürlich sagen können: Dann hätten wir ohne Designated-Player-Platz nur 1,3 Millionen ausgegeben, setzen ihn bei Unlust auf die Bank - und würden ganz nebenbei dafür sorgen, dass er bei der WM gegen die USA nicht topfit wäre.

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