Süddeutsche Zeitung

Fußball-Transfers:Fröhliches Last-Minute-Schachern

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Kurz vor Transferschluss werden gewaltige Summen geboten - nicht immer mit Erfolg, wie der Fall Draxler zeigt. Trotzdem ist die Deadline-Folklore gut für den Unterhaltungswert.

Kommentar von Philipp Selldorf

Der Spielerberater Roger Wittmann gilt als besonders gewieft. Zu seinen Spezialgebieten gehört, so erzählen Kenner, die Strategie der psychologischen Kriegsführung. Im vorigen Sommer gelang es Wittmann, seinen Klienten Julian Draxler zum VfL Wolfsburg zu lotsen, und nicht zufällig geschah das am Schlusstag der Transferperiode: Schalke 04, Draxlers Arbeitgeber, war durch die Offerte unter Druck geraten. Weder blieb Schalke Zeit für Verhandlungen noch für den Kauf eines Ersatzmanns, trotzdem willigte man ein: Weil Draxler unbedingt gehen wollte - und weil die Ablöse Rekordhöhe erreichte.

Auch für Wittmann hat sich die Sache gelohnt, wie später aus einer Liste der DFL über die Zahlung von Provisionen an Spielerberater hervorging. In dieser Tabelle rangierte Schalke mit Ausgaben von 16,86 Millionen Euro auf Platz eins der Liga. Laut Bild gingen allein acht bis neun Millionen an Wittmann.

Nun wurde Wittmann, wie aus Wolfsburg gemeldet wird, wieder in letzter Minute vorstellig. Wieder ging es um Draxler, und diesmal war die Ablöse dank des potenziellen Abnehmers Paris St. Germain noch höher, von bis zu 90 Millionen war die Rede. Doch der VfL widerstand. Der VW-Klub kann es sich leisten, auf Geld zu verzichten, er konnte es sich nicht leisten, auf Draxler zu verzichten.

Oft fragt man sich, warum immer am letzten Tag die Transferbörse überkocht. Besonders in der Premier League stellt das Schachern am finalen Handelstag eine kultische Handlung dar. Das gesamte öffentliche Interesse scheint sich am "Deadline-Day" auf den Spielermarkt der Premier League zu konzentrieren. Und die Ärzte leisten Akkordarbeit, um die Medizinchecks hin und her wechselnder Fußballprofis zu bewältigen.

Der FC Bayern hat seine Einkäufe vor der EM erledigt

Wäre es nicht viel klüger, die Spieler früher zu holen, um sie in der Vorbereitungsphase ins neue Team einzureihen? Sicher wäre das klüger, doch wo bliebe dann der Spaß? Würden alle Klubs so eine sachgerechte Transferpolitik betreiben wie die Bayern (die ihre Einkäufe vor der EM erledigt hatten), dann würde das nicht nur zu Lasten der Deadline-Day-Folklore gehen. Es würde auch bedeuten, dass die englischen Klubmanager auf ihre legendär langen Sommerferien verzichten müssten (ihre deutschen Kollegen verwenden sogar das Wort "Faulheit").

Neben der Torschlusspanik von Klubs mit schlechtem Start ist natürlich auch das Geld ein Grund für den Boom der Last-Minute-Geschäfte. Man spekuliert auf Extra-Gewinne, und wenn die Frist abläuft, lässt sich härter pokern und Druck ausüben. Es klappt bloß nicht immer, wie jetzt in Wolfsburg zu sehen war.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2016
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