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Zum Tod von Piet Schrijvers:Bolle von Zwolle

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Der Torwart Piet Schrijvers schleppte einiges an Körpergewicht mit sich rum - aber er hielt rekordverdächtig gut. Vielleicht wären die Niederlande 1978 mit ihm Weltmeister geworden.

Nachruf von Holger Gertz

Die niederländischen Fußballer der Siebziger wurden auch und gerade im verkniffenen Deutschland sehr verehrt. Viele von ihnen waren wagemutig frisierte Charakterköpfe: Große Spieler und zugleich Lebemänner, die wussten, dass Training nicht alles ist. Der Großregisseur Johan Cruyff steckte sich seine Camel ohne Filter auch mal in der Halbzeit an, es gibt herrliche Bilder davon, früher hing sowas als Zimmerschmuck in WGs. Und Pieter "Piet" Schrijvers, der Torwart, trug einiges an Körpergewicht mit sich rum, bei einer Größe von 1,86 Metern sollen es um die hundert Kilo gewesen sein. Fotodokumente belegen: könnte hinkommen.

Die Spitznamen, von denen er sich einige erworben hat, sprechen auch dafür. Er war "de Beer van de Meer", "de Bolle van Zwolle", "de Corpulente van Twente" und später, als Trainer, "De Kolos van Oss". Oder, wie es Ruud Krol gerade der SZ gesagt hat, als Abwehrchef lange Teamkamerad von Schrijvers, bei Ajax und im Nationalteam: "Er hatte nicht das ideale Gewicht, aber er erledigte seinen Job."

Rekordverdächtig gut sogar. Fünfmal Meister mit Ajax Amsterdam, 1971/72 kassierte er in der kompletten Saison bei Twente Enschede nur 13 Tore. "Niet slecht voor een bouwvakkertje", hat er gesagt, nicht schlecht für einen Bauarbeiter: Schrijvers schuftete zeitweise bei einer Betonzentrale. Damals, als Fußball noch Arbeitersport war.

Schrijvers war stark im eins gegen eins: Er blieb halt stehen

Und der Torwart Schrijvers hatte zwar ein Lausbubengesicht, war aber zugleich der Mann aus Beton, stark im eins gegen eins: Er blieb halt stehen, und dann musste der Gegner ja erstmal um ihn herum. Die Statur war jedenfalls kein Karrierehindernis, solange alles im Griff blieb. Aber beim einen setzt Mutters Küche mehr an, beim anderen weniger, und die Kohlehydrat-Zählerei war noch nicht so weit verbreitet. Es ging in jeder Hinsicht rustikaler zu. Dem Vereinsmagazin von Ajax hat Schrijvers mal erzählt: "Mein Torwartkollege Jan van Beveren konnte vier Frikadellen aufessen, und alles war okay - aber ich war nach zwei Frikadellen schon zu dick."

Trotzdem überflügelte der Junge aus der Betonfabrik die Torwartrivalen seiner Zeit, auf 46 Länderspiele brachte es Schrijvers, mehr als van Beveren, mehr als Jan Jongbloed, Keeper mit der extravaganten Nummer 8, der 1974 bei der WM in Deutschland im Kasten stand und auch 1978 in Argentinien die Vorrunde spielte, dabei schwächelte er.

Und dann schien sich das Glück kurz nochmal zu verdichten in der Karriere von Schlussmann Schrijvers, denn in der Zwischenrunde durfte er ran, der sowieso die 1 auf dem oft gelben Trikot trug. Mit Schrijvers räumten die Niederländer die Österreicher aus dem Weg, spielten 2:2 gegen Deutschland, waren gegen Italien auf dem Weg ins Finale, und dann rutschte bei einem Rettungsversuch der Verteidiger Ernie Brandts seinem Torwart in die Parade. Der Ball war trotzdem im Tor, Führung für Italien, aber Schrijvers hatte sich bei der Kollision mit dem eigenen Mann so schwer verletzt, dass er ausgewechselt werden musste, zwei Sanitäter schleppten ihn auf einer Trage aus dem Stadion.

Es kam wieder Jongbloed, der spielte auch das Finale gegen Argentinien, Oranje verlor. Ruud Krol sagt: "Vielleicht hätten wir mit Piet im Tor die WM gewonnen."

So blieb Piet Schrijvers, wie viele andere Fußballer, ein Unvollendeter. Der sich, wie viele andere Fußballer, irgendwann nicht mehr erinnern konnte an das, was mal war. Alzheimer verschattete seine späten Jahre. Am Donnerstag, dem Todestag der Queen, ist auch der Beer van de Meer gestorben, mit 75 Jahren.

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