Süddeutsche Zeitung

Fußball: Nationalelf:Ein deutscher Laborversuch

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Im Länderspiel gegen Schweden schont Bundestrainer Joachim Löw einige Etablierte und testet junge, aufstrebende Kräfte. Besonders der Dortmunder Kindergarten um Marcel Schmelzer und Mario Götze steht dabei im Fokus.

Philipp Selldorf

Auch Manuel Neuer war an Bord, als die Nationalmannschaft am Montag aus Frankfurt nach Göteborg gereist ist, wo sie am Mittwoch freundschaftshalber auf das schwedische Team trifft. Deutschlands Nationaltorwart hat vom Bundestrainer eine Einladung erhalten, also fährt er mit zum letzten Treffen der DFB-Auswahl im Jahr 2010, obwohl er in stillen Minuten vielleicht ein bisschen gezweifelt hat am Sinn der Unternehmung.

Seinen Stammplatz in der ersten Elf wird er wohl an René Adler abtreten müssen, und darüber wird er sich wohl kaum beklagen: Adler hat seit der Begegnung mit Argentinien im März - damals hatte ihn Löw gerade zur Nummer eins für das WM-Turnier ernannt - nicht mehr für Deutschland gespielt, er hat eine Belohnung für gute Leistungen und das tapfere Ertragen eines tückischen Torwartschicksals verdient. Außerdem möchte Löw seine Torwartkandidaten regelmäßig unter Ernstfallbedingungen prüfen, Tim Wiese hatte er im August in Dänemark einen Einsatz gewährt.

Manuel Neuers Loyalität wird aber nicht bloß dadurch strapaziert, dass er sich auf die Ersatzbank setzen muss. Er muss auch damit klarkommen, dass der Bundestrainer bei seinem Dortmunder Kollegen Jürgen Klopp eine Sammelbestellung aufgegeben hat. Der Überzeugungsschalker Neuer wird somit während der Reise in die Dunkelheit (in Göteborg erlischt das Tageslicht schon gegen halb vier am Nachmittag) von den vier Tabellenführern Mats Hummels, Mario Götze, Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer umzingelt sein. Kein leichtes Los. "Ich konzentriere mich auf das Länderspiel gegen Schweden, das andere blende ich aus", hat er am Wochenende erklärt.

Außer den Dortmunder Neulingen Schmelzer und Götze will Löw im Ullevi-Stadion auch den erstmals hinzugebetenen André Schürrle und Lewis Holtby zum Debüt in der Nationalelf verhelfen. "Sie sind nicht umsonst eingeladen worden", sagte er am Montag nach der Ankunft. Er folgt damit einer neuen Praxis, die er in sein Trainerrepertoire aufgenommen hat.

Die Partie gegen Schweden fügt sich in die Reihe von Testspielen, die der Bundestrainer für den angewandten Laborversuch ausersehen hat. Einerseits trägt er dadurch den Belastungen seiner international viel beanspruchten Stammspieler Rechnung, was den Etablierten Mesut Özil, Philipp Lahm und Thomas Müller eine Reise- und Spielpause verschafft. Andererseits reagiert er auf das mittlerweile reiche Spielerangebot, das ihm die Bundesliga liefert.

"Diese neuen, jungen Spieler passen sehr gut in unsere Philosophie, alle Spieler haben die nötige Qualität und viele Entwicklungsmöglichkeiten", stellte der Bundestrainer in Göteborg fest. Zwar wird Löw grundsätzlich ein wenig ungehalten, wenn die Expertenrunden die Erwartung verbreiten, dass eine neue goldene Generation umfassend qualifizierter Fußballer das DFB-Team zum großen Favoriten der nächsten Turniere befördere; er weist dann darauf hin, dass es in Deutschland keineswegs "unzählig viele Talente" gebe, und dass die Nachwuchsspieler noch viel lernen müssten, bevor sie sich mit den Spaniern Xavi und Iniesta messen könnten.

Aber auch Löw ist neugierig, deshalb will er außer den derzeit hochmodischen Dortmunder Dauerläufern auch die Mainzer Schürrle und Holtby aus der Nähe betrachten, obwohl deren Leistungen zuletzt nachgelassen haben und ihr Klubtrainer nicht unbedingt glücklich ist über die Berufung.

Damit es die Neuen ein wenig leichter haben, wird Löw ihnen im Spiel ein stabiles Gerüst zur Verfügung stellen, anders als während des jüngsten großen Feldversuchs beim Testspiel in Dänemark vor drei Monaten (2:2). Damals mussten die Aushilfen Christian Gentner und Thomas Hitzlsperger die Rolle der Routiniers übernehmen, diesmal wird das bewährte WM-Stammduett Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira die hintere Mittelfeldachse bilden.

Auch die übliche Besetzung der Abwehrreihe bleibt im Kern erhalten, lediglich der 22-jährige Dortmunder Schmelzer wird wohl gleich beim Anpfiff Länderspielpremiere feiern. Ihm kommt zugute, dass er als Linksverteidiger eine Position einnimmt, auf der Löw akuten Fachkräftemangel beklagt.

Schmelzers Klubkollege Götze hat ebenfalls bessere Aussichten auf einen längeren Einsatz, zumal da Löw nach der Absage von Lukas Podolski seine gesamte angestammte Offensivformation ersetzen muss. Götze darf also mit einem Eintrag in die DFB-Annalen rechnen, nur ein halbes Dutzend Nationalspieler in 110 Jahren Verbandsgeschichte war beim Debüt noch jünger.

Die Fachwelt, der skeptische Bundestrainer eingeschlossen, ist sich aber erstaunlich einig, dass der 18-Jährige durch einen Einsatz im A-Team nicht überbewertet werde. "Die Nominierung kommt zwar außergewöhnlich früh, aber Mario ist auch ein außergewöhnlicher Spieler", sagt Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2010
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