Süddeutsche Zeitung

Fußball: DFB-Pokal:Fischende Liberos

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Es mag eine Zeit gegeben haben, da erfreute sich nur der ehemalige Sportreporter Rolf Töpperwien am DFB-Pokal. Das ist vorbei. Neuerdings ist der nationale Pokal der heimliche Lieblingswettbewerb aller Topklubs.

Boris Herrmann

Die meisten der sogenannten Fußballweisheiten sind schon seit geraumer Zeit unerträglich. Das liegt zum einen an der Frequenz, mit der man sie ertragen soll. Und zum anderen daran, dass sie fast allesamt falsch sind. Wer noch immer an den alten Spruch glaubt, wonach ein Spiel 90 Minuten dauere, der sollte sich mal mit Bochums Trainer Friedhelm Funkel unterhalten.

Wer bislang der Meinung war, dass der Gefoulte einen Elfer niemals selbst schießen dürfe, der müsste eigentlich von Borussia Dortmund gelernt haben, dass es vielmehr am sichersten ist, wenn gar niemand schießt. Und wer denkt, der Pokal habe immer noch seine eigenen Gesetze, der ist in der Fußball-Juristerei längst nicht mehr auf dem neuesten Stand. Der DFB-Pokal folgt heutzutage den handelsüblichen Gesetzen des Marktes.

Die alte Pokalweisheit behauptet aber gerade das Gegenteil. Demnach wäre dieser Wettbewerb eine lästige Zusatzaufgabe der großen Klubs, die sich dabei reihenweise von aufmüpfigen Amateuren demütigen lassen müssen. Und vielleicht hat das irgendwann sogar einmal gestimmt.

Der ehemalige Sportreporter Rolf Töpperwien hat sich stets einen Spaß daraus gemacht, die Hauptberufe jener Freizeitkicker aufzuzählen, die gerade eine Handvoll lustloser Profis von Bayern oder Wolfsburg ärgerten. Man hörte von brotbackenden Torhütern, fischenden Liberos, schreinernden Spielmachern, gerbenden Mittelstürmern und vielen weiteren scheinbar längst verschwundenen Handwerken.

Mag sein, dass es Zeiten gab, da eigentlich nur noch Töpperwien Spaß an dieser Veranstaltung hatte. Spätestens mit dem Ende seiner TV-Karriere ist aber das Töpperwien-Syndrom aus dem Pokal verschwunden.

Man muss sich nur die kindliche Freude anschauen, mit der ein gewisser Raúl die Trophäe umtanzte, um zu wissen, dass die großen Klubs den Pokal neuerdings als heimlichen Lieblingswettbewerb begreifen. Manager aller Bundesliga-Standorte schwärmen wieder von diesem Titel. Er ist - kühl kalkuliert - der kürzeste Weg nach Europa.

Die Europa League ist im Vergleich zur Champions League zwar nicht ertragreich, aber bei nur sechs Qualifikationsspielen im DFB-Pokal lohnt sich der Aufwand allemal. Schalke hat am Samstag 22 Minuten gebraucht, um den letzten Schritt zu gehen. Das war nicht sehr unterhaltsam. Aber es war im modernen Sinne sehr weise.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2011
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