Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball:Treffen, ohne zu lachen

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Vivianne Miedema, Stürmerin des nächsten deutschen Länderspiel-Gegners Niederlande, gilt manchen als beste Angreiferin der Fußball-Geschichte. Sie selbst hält davon wenig.

Von Anna Dreher

Nicht mal ein klitzekleines Lächeln war zu sehen. Vivianne Miedema drehte sich um und klatschte ihre Mitspielerinnen emotionslos ab. Eine nach der anderen mit ernstem Blick. Eben hatte sie den abprallenden Ball ins Tor geschossen, zum 1:0 für die Niederlande im Auftaktspiel des Drei-Nationen-Turniers gegen Belgien, das 6:1 endete. Und doch wirkte Miedema, als habe sie eine lästige Pflichtaufgabe erledigt, fast schon ein bisschen genervt. Womöglich war sie das auch, weil es erst der zweite Schuss war, der saß. Aber ihre Reaktion wäre wohl nicht sehr viel anders ausgefallen, wenn schon der erste Versuch gelungen wäre. Miedema, eine der weltweit besten Stürmerinnen, feiert ihre Tore nicht.

Gut, in dieser Absolutheit lässt sich das nicht sagen, Miedema macht auch mal Ausnahmen. Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich 2019 zum Beispiel. Als sie gegen Kamerun mit ihrem zweiten Treffer zum 3:1 den Einzug ins Achtelfinale sicherte, ist sie ein bisschen aus der Reihe getanzt - mit einer Rolle vorwärts. Das aber auch nur, weil sie eine Abmachung mit ihrem Bruder getroffen hatte und es wirklich ein besonderes Tor war: Ihr 60. für die Niederlande, das sie zur Rekordtorschützin für Oranje bei den Frauen und Männern machte, mit gerade einmal 22 Jahren. "Ich glaube, in diesem Fall darfst du ruhig feiern und ein bisschen ausflippen", sagte Miedema da. "Das ist etwas ganz Besonderes, was ich nur einmal erleben werde."

Die Niederlande zählt zu den derzeit stärksten Nationen im Frauenfußball

Inzwischen hat sie ihre Bestmarke weiter hochgeschraubt, 71 Tore in 92 Länderspielen sind es seit vergangenen Donnerstag gegen Belgien. Und es könnte gut sein, dass diese Zahl bald schon wieder überholt ist. Zum Abschluss des Testturniers trifft die Niederlande am Mittwoch (18.30 Uhr, Eurosport) auf das deutsche Nationalteam, für das es gilt, diese schwer kontrollierbare Angreiferin nicht entwischen zu lassen, die nicht nur wegen ihrer vielen Treffer, sondern auch wegen ihrer Vorlagen so gefährlich ist. Leicht wird das nicht. Aber es sind genau diese Herausforderungen, die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in einem Jahr ohne Großereignis für ihre Spielerinnen möchte. Die Gegner in der Qualifikation für die EM 2022 und auch Belgien am Sonntag (2:0) waren kein Maßstab.

Der Europameister und WM-Zweite Niederlande hingegen zählt neben Weltmeister USA zu den derzeit stärksten Nationen im Frauenfußball. Nach Jahren der Entwicklung und Professionalisierung war der Titelgewinn 2017 im eigenen Land mit der ruhigen und souveränen Trainerin Sarina Wiegman der Durchbruch. "Wir hatten nicht die größten Spielerinnen, aber wir haben es geschafft, die EM als Gruppe zu gewinnen", hat Miedema über diesen Erfolg gesagt. Bald danach änderte sich das, allen voran Lieke Martens (FC Barcelona) und die 2017 vom FC Bayern zum FC Arsenal gewechselte Miedema zählen längst zu den weltweit begehrtesten Fußballerinnen - was das Kollektiv nur stärker gemacht hat.

Und ein bisschen ist das alles für Miedema nun zum Problem geworden. Denn so wenig ausgeprägt ihr Jubel ist, so unangenehm ist ihr die große Aufmerksamkeit. "Das einfachste wäre es natürlich, wenn ich aufhören würde, zu treffen", sagte Miedema dem Guardian über dieses Dilemma. Aber das ist für sie natürlich auch keine Option.

Für den FC Arsenal hat Miedema in 58 Spielen 54 Mal getroffen

In 79 Partien in der niederländischen Liga traf sie zu Beginn ihrer Karriere 69 Mal. In der Bundesliga war sie beim FC Bayern die mit Abstand beste Torschützin und hatte maßgeblichen Anteil an den Meistertiteln 2015 und 2016. In der englischen Women's Super League hat sie vergangenen Oktober die Bestmarke von Nikita Parris übertroffen, die für 49 Tore 110 Partien brauchte. Miedema schaffte das fast doppelt so schnell und hat nun in 58 Spielen 54 Mal getroffen. "Ich bin immer noch recht jung", sagt die 24-Jährige. "Ich möchte gerne glauben, dass ich meine besten Jahre noch vor mir habe." Und: "Ich wäre wirklich gerne eine der Personen, die den Frauenfußball auf ein höheres Level bringt."

Manche sehen in Miedema die "greatest of all time" (Größte aller Zeiten), was im Akronym dem englischen Wort Ziege entspricht. Selbst hier zeigt sich ihr Umgang mit individuellem Ruhm. "Bis vor einem Jahr wusste ich nicht mal, was "Goat" bedeutet", erzählte sie dem Guardian. "Ich dachte: Es ist nicht sehr nett, dass die Leute mich Ziege nennen. Eine Ziege ist nicht gerade das beste Tier." Lisa Evans, ihre Freundin und Mitspielerin, musste ihr die Bedeutung angeblich erst erklären. Und als Miedema 2020 in die Fifa-Weltauswahl aufgenommen wurde, zeigte die Wahl ihres Outfits, wie ernst sie solche Auszeichnungen nimmt: Während manch eine vor der Laptopkamera saß, als fände tatsächlich eine Gala statt, entschied Miedema sich für einen Hausanzug mit Weihnachtsmotiven.

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