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Simone Laudehr beim FC Bayern:Die ewige Antreiberin hat noch was vor

Lesezeit: 5 min

Ein großes Finale zum Abschied: An diesem Sonntag wird Simone Laudehr beim FC Bayern ihre schillernde Fußball-Karriere beenden - und könnte tatsächlich den letzten Titel gewinnen, der ihr noch fehlt.

Von Anna Dreher

Einmal hat sie so etwas schon erlebt, das hat eigentlich gereicht. Vor sieben Jahren spielte Simone Laudehr beim 1. FFC Frankfurt, der Klub führte die Fußball-Bundesliga mit einem Punkt Vorsprung auf den VfL Wolfsburg an. Eine Partie stand noch aus, und der Terminplan sah vor, dass es am 8. Juni zum direkten Duell um die Meisterschaft kommen sollte. Wie hart der Sport sein kann, erlebte Laudehr an jenem Sonntag sehr eindrücklich.

Wolfsburg ging in Führung, der bis dahin ungeschlagene FFC glich in der 82. Minute aus. Ein Unentschieden würde zum ersten Meistertitel seit 2008 reichen. Was sollte jetzt noch passieren? Doch dann überraschte die damals aufstrebende Alexandra Popp, die noch immer für den VfL spielt, in der 89. Minute die Frankfurter Defensive bei einem Freistoß mit einem Kopfball-Tor. Damit war der Titel in der letzten Minute futsch, Drama pur.

Diesen Sonntag ist die Konstellation eine ähnliche wie vor sieben Jahren. Laudehr hat mit dem Tabellenführer FC Bayern zwei Punkte Vorsprung auf Pokalsieger Wolfsburg. Die Meisterschaft ist wieder so verdammt nah, Laudehr will sie unbedingt gewinnen. Wenn das so kurz vor dem Ziel wieder nicht klappt, wäre es fast schon tragisch. Zehnmal Zweite, das reicht ihr.

Es ist der einzige Titel, der Laudehr fehlt. Dass es nicht viele Fußballerinnen gibt, die alles gewonnen haben, treibt die 34-Jährige zusätzlich an - wie die Bedeutung dieser Chance: Der letzte Spieltag dieser Saison soll auch der letzte Spieltag für die Fußballerin Laudehr sein. Ein großes Finale zum Abschied.

Laudehr hat sich mit ihrem schnellen, aggressiven, laufintensiven Stil einiges abverlangt

Wenige Tage vorher reflektiert die gebürtige Regensburgerin ihre Karriere am Telefon, all die erinnerungswürdigen Momente, an die sie wieder öfter gedacht hat in letzter Zeit. Laudehr ist Weltmeisterin, zweimal Europameisterin, Olympia- und Champions-League-Siegerin geworden und hat mehrmals den DFB-Pokal gewonnen.

Sie ist eine der erfolgreichsten und prägendsten deutschen Fußballerinnen. Nun aber soll Schluss sein mit jenem Sport, der ihr Leben so sehr bestimmt hat. "Ich hatte lange Zeit, mich darauf vorzubereiten, weil für mich schon seit vergangenem Sommer feststand: Das wird definitiv mein letztes Jahr", sagt Laudehr. "Trotzdem ist es komisch, dass der Tag jetzt gekommen ist. Aber ich will noch Lebensqualität haben, will mountainbiken, schwimmen, wandern, snowboarden können. Wenn ich meinen Körper total kaputt mache, geht nichts mehr."

Fast 18 Jahre Profisport hinterlassen Spuren. Laudehr hat sich mit ihrem schnellen, aggressiven, laufintensiven Stil einiges abverlangt. Sie ist flexibel einsetzbar gewesen, auf den Außenpositionen, im Mittelfeld und als offensiv denkende Spielerin natürlich auch im Angriff. Laudehr hat stets einen großen Kampfgeist und Einsatzwillen ausgestrahlt - was sich auch in Grätschen oder ausgefahrenen Ellenbogen zeigte. Eine unnachgiebige Antreiberin.

Wenn sie mit ihrer Erfahrung und ihrem Selbstbewusstsein auf dem Feld stand, veränderte sich spürbar die Atmosphäre. Auch wenn das in den vergangenen Jahren immer seltener lange möglich war, weil die Intensität für ihren Körper zu hoch wurde - und die Konkurrenz beim ambitionierten FC Bayern groß ist. "Unser enger, intensiver Austausch und ihre Expertise werden mir fehlen", sagt Bayern-Trainer Jens Scheuer. "Sie ist in der Mannschaft wahnsinnig anerkannt und wird eine große Lücke hinterlassen."

Sie habe, erzählt Laudehr, Angebote anderer Klubs über diese Saison hinaus vorliegen gehabt, auch aus dem Ausland: "Selbst nachdem ich mein Karriereende bekanntgegeben hatte, kam eine Anfrage." Aber Laudehr wollte als Spielerin selbstbestimmt beim FC Bayern aufhören, wo 2003 die Laufbahn der damals 17-Jährigen nach den Anfängen bei ihrem Heimatverein FC Tegernheim und dem SC Regensburg begonnen hatte.

Beim FCR 2001 Duisburg und in Frankfurt - mit Turbine Potsdam die Top-Adressen zu dieser Zeit - entwickelte sie sich zu einer der besten und bekanntesten deutschen Fußballerinnen. "Das waren die krassesten Jahre", sagt Laudehr. "Mit Duisburg und Frankfurt habe ich innerhalb weniger Jahre quasi alles abgeräumt." Im Sommer 2016 kehrte sie nach München zurück.

Ein Moment, der für immer mit ihr verbunden sein wird, ist jener aus der 86. Minute im Weltmeisterschaftsfinale 2007 in China. Birgit Prinz hatte gegen Brasilien das 1:0 erzielt. Nach einer Ecke brachte Laudehr mit einem Kopfball die Entscheidung: Der Titelverteidiger Deutschland war wieder Weltmeister - und die gelernte Bürokauffrau auf einen Schlag weltberühmt.

Die Bilder, wie Laudehr sich beim Jubeln das Trikot hochzieht und ihren durchtrainierten Bauch zeigt, gingen um den Erdball. Sie war 21 Jahre alt, erst drei Monate zuvor von Bundestrainerin Silvia Neid zum Nationalteam berufen worden und nun die Entdeckung schlechthin. Sponsoren, Fans, MTV, der Playboy - alle wollten etwas von ihr: "Da musste ich erst mal lernen, mit Erfolg umzugehen und auf dem Boden zu bleiben. Ich habe die Aufmerksamkeit genossen, aber es war auch viel zu viel auf einmal. Ich habe viel daraus gelernt, vor allem, wie Menschen ticken."

Verletzungen haben Laudehr immer wieder zurückgeworfen

Direkt danach stand die Grundausbildung bei der Bundeswehr an, auch wegen des harten Kontrasts brauchte Laudehr eine Weile, um mit dem Hype umzugehen. Rund um die WM 2011 im eigenen Land war der Rummel wieder besonders hoch - und der Aufprall nach dem Viertelfinal-Aus umso härter. Verletzungen warfen Laudehr immer wieder zurück. Bei Olympia 2016 wurde sie in der Auftaktpartie gegen Simbabwe von einer Gegnerin derart getreten, dass das Turnier für sie wegen eines Außenbandrisses im linken Sprunggelenk beendet war. Gold gewann sie als Zuschauerin.

Ihr letztes von 103 Länderspielen (26 Tore) bestritt sie im Oktober 2017, danach erlitt sie immer wieder Blessuren. Als sie vor der WM 2019 vergeblich auf einen Anruf von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gewartet hatte und bei der Kader-Bekanntgabe eine Überraschung ausblieb, gab Laudehr noch am gleichen Tag ihren Rücktritt bekannt: "Ich hatte eine Wahnsinnskarriere. Wann die wirklich endet, wollte ich nie jemanden außer mir entscheiden lassen."

Der Alltag der früheren Sportsoldatin wird nun anders aussehen. Laudehr wird im Museum der Allianz Arena arbeiten und dort für Veranstaltungen, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig sein. Sie hat den DFB-Elite-Jugend-Trainerschein gemacht, Sportmarketing und Spielanalyst im professionellen Fußball studiert.

Es ist nicht auszuschließen, dass sie in irgendeiner Form auf den Platz zurückkehren wird. Sie wäre gerne direkt beim Trainerteam der Bayern-Frauen eingestiegen, ein Angebot blieb aus. "Manchmal habe ich schon gedacht, hach, noch mal jünger sein und ohne Schmerzen spielen", sagt Laudehr. "Aber nee, ich will mit niemandem tauschen. Das war eine schöne, aber harte Zeit. Ich hatte lange keinen Urlaub, vom Verein ging's zur Auswahl und wieder zurück." Was am härtesten war? "Diese eine gesamte Karriere."

Einmal noch will sie "150 Prozent geben", alles für diesen einen Titel. Simone Laudehr wird ein Stück Rasen in die Hand nehmen, sobald sie das Feld betritt, wie immer. "Mein Ritual", sagt sie. "Ich habe am Rasen gerochen und mir, egal, wie bedeutsam das Spiel, wie groß die Kulisse war, gedacht: Das ist einfach Fußball, wie früher." Zum Abschied (14 Uhr, Magenta Sport/Eurosport.de) trifft Laudehr auf Frankfurt, das inzwischen zur Eintracht gewechselt ist und als Pokalfinalist anreist. Ein Unentschieden würde dem FC Bayern zum Titelgewinn reichen. Aber sich darauf zu verlassen, kann riskant sein.

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