Süddeutsche Zeitung

Französischer Fußball:Die Revolte ist erfolgreich

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Der französische Fußballverband entlässt die umstrittene Nationaltrainerin Corinne Diacre - viereinhalb Monate vor der WM. Sie selbst sah sich im Fokus "einer Hetzkampagne, die mit ihrer Gewalt und Unehrlichkeit verblüfft".

Von Anna Dreher

Am Donnerstag um 12.51 Uhr veröffentlichte die Fédération Française de Football (FFF) eine Mitteilung, die den vorläufigen Höhepunkt nach dramatischen Wochen im französischen Fußball bildete: Corinne Diacre ist nicht mehr Trainerin des Fußball-Nationalteams der Frauen. Der Verband erkenne das Engagement und die Ernsthaftigkeit von Diacre und ihrem Team an, hieß es in der Mitteilung, "doch die festgestellten Differenzen scheinen unüberwindbar zu sein". Dieser Bruch schade den Interessen der Auswahl.

Am Dienstag war Diacre noch befragt worden von einer für diesen Konflikt eigens einberufenen Kommission. Am Mittwoch hatte sich die 48-Jährige dann selbst zu Wort gemeldet. Ihr Anwalt Christophe Ayela hatte der französischen Nachrichtenagentur AFP ein Statement übermittelt, in dem Diacre mitteilte, keinesfalls als Nationaltrainerin aufhören zu wollen: "Ich bin fest entschlossen, meine Arbeit fortzuführen und Frankreich bei der nächsten WM stolz zu machen."

Seit mehr als zehn Tagen stehe sie im Fokus "einer Hetzkampagne, die mit ihrer Gewalt und Unehrlichkeit verblüfft. Meine Kritiker zögern nicht - ohne sich um die Wahrheit zu scheren - vier Monate vor der Weltmeisterschaft meine persönliche und berufliche Integrität anzugreifen." Die "destabilisierende" Aktion ziele ausschließlich darauf ab, "persönliche Rechnungen zu begleichen" und berücksichtige ihre Leistung als Trainerin nicht.

Das jüngste Beben ums Nationalteam hat Kapitänin Renard mit ihrem vorübergehenden Rücktritt ausgelöst

Diacre gilt als streng im Auftreten. Seit Jahren wird von Spannungen berichtet. Amandine Henry etwa hatte nach der WM 2019 von weinenden Spielerinnen und Chaos erzählt. Später berichtete sie von einem kühlen Telefonat mit der seit 2017 amtierenden Trainerin, als diese sie nicht für den EM-Kader nominierte - und nachdem Diacre die Kapitänsrolle von Henry an Wendie Renard übertragen hatte. Rund um die EM 2022 war von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis die Rede - auch durch den Halbfinaleinzug wirkte die Atmosphäre jedoch wieder gelöst. Dass Diacre dann erneut in den Fokus rückte, lag an Renards vorübergehendem Rücktritt aus dem Nationalteam am 24. Februar.

Die Abwehrspielerin kritisierte das "derzeitige System" als nicht wettbewerbsfähig. Ihr Schritt sei notwendig, um ihre geistige Gesundheit zu wahren. Die Stürmerinnen Kadidiatou Diani, 27, und Marie-Antoinette Katoto, 24, schlossen sich der Revolte an, "bis notwendige Veränderungen umgesetzt werden". Damit dürfte vor allem Diacre, aber auch der Verband mit dem inzwischen zurückgetretenen Präsidenten Noël Le Graët gemeint gewesen sein. Gegen den 81-Jährigen läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Mobbings und der sexualisierten Belästigung. Er galt als Unterstützer Diacres und hatte ihren Vertrag - wohl im Alleingang - bis August 2024 verlängert.

Die angeprangerten Missstände wirken wie eine Mischung aus menschlichen und sportlichen Problemen. Daraus die Konsequenz zu ziehen, auf eine Weltmeisterschaft zu verzichten, war ein radikaler Schritt, der die Frage nach den Gründen aufwarf. Diani ging beim TV-Sender Téléfoot mit ein paar Tagen Abstand näher darauf ein: Sie habe nicht zur WM reisen wollen "ohne die notwendigen Mittel, um den Pokal, eine Medaille, zu holen - ich wollte nicht einfach nur dabei sein." Vor allem prangerte sie einen Mangel an Professionalität im Nationalteam an. Es sei ein Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gebe: "Wir brauchen etwas Neues, die Mädels können es nicht mehr ertragen. Sie äußern sich nicht unbedingt, aber das ist wirklich so."

Ein Vorwurf: Diacre entscheide allein, neben ihr sei kein Co-Trainer oder Spezialist für etwa die Offensive angestellt. Offiziell werden lediglich Anthony Grech-Angelini als Fitness- sowie Gilles Fouache als Torwarttrainer gelistet. Der Betreuerstab der Männer ist größer, Didier Deschamps steht etwa ein Co-Trainer zur Seite. Außerdem kritisierte Diani, wie Betreuung und Regeneration gehandhabt würden: "Anfangs war der Zugang quasi verboten, man musste wirklich verletzt sein, um Anspruch auf eine Massage oder eine Behandlung wie im Verein zu bekommen." Diacre zu ersetzen sei nur einer der notwendigen Schritte.

Gegenüber der Sportzeitung L'Équipe sagte Diacres Anwalt nach deren Gespräch mit der Kommission, es gebe immer ein paar unzufriedene Spielerinnen auf sehr hohem Niveau, die meisten aber seien gerne dabei. Außerdem habe Diacre Le Graët mehrmals um Verstärkung gebeten: "Und er antwortete, dass sie es alleine schaffen werde." In keinem Fall habe die Kommission zu erkennen gegeben, sie entlassen zu wollen. Dieser Eindruck täuschte offenbar. Viereinhalb Monate vor der WM in Australien und Neuseeland sucht Frankreich eine neue Cheftrainerin oder einen neuen Cheftrainer.

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