Süddeutsche Zeitung

Formel E:Auf und ab

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In Berlin erlebt Maximilian Günther völlig verschiedene Rennen. Die Saison könnte er noch als Zweiter beenden.

Von Anna Dreher

Wie unterschiedlich doch Erlebnisse an ein und dem selben Ort sein können, noch dazu innerhalb kürzester Zeit. Als Maximilian Günther vergangene Woche nach Berlin reiste, wusste er, dass er die nächsten Tage eine Herausforderung vor sich haben würde, die er so noch nicht erlebt hatte in seiner Motorsportkarriere. Günther fährt seine zweite Saison in der Formel E. Intensive Renntage in der vollelektrischen Serie mit zwei Trainingseinheiten, Qualifikation und Grand Prix kannte er. Intensive Renntage, auf die nach einer Nacht Erholung direkt ein weiterer intensiver Renntag folgt, kannte er auch. Aber gleich sechs Stück in neun Tagen? Das kannte der 23 Jahre alte Allgäuer, wie auch die gesamte Formel E, noch nicht. "Wir kommen alle an unser Limit. In der Formel E gibt es kaum Pausen, weil alles an einem Tag passiert, da ist jetzt jeder umso mehr extrem gefordert", sagt Günther am Telefon. "Ich stehe meist um 5 Uhr auf und habe spät abends mein letztes Meeting, Aber ich habe es geschafft, auch abzuschalten. Ich fühle mich gut."

Den Großteil ihres Saisonfinales auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof hat die Formel E hinter sich. Vergangenen Mittwoch fand das erste Rennen in der Hauptstadt statt, am Donnerstag das zweite. Nach einem Tag Pause folgten am Samstag und Sonntag die nächsten Läufe, bevor es diesen Mittwoch und Donnerstag (19 Uhr, Eurosport) in die Schlussphase geht. Für Günther waren diese Tage ein Auf und Ab, das in gewisser Weise seine Saison spiegelt - nach der Station bei Dragon Racing seine erste als Werksfahrer für das Team BMW i Andretti Motorsport. Das Gute: Das Auf und Ab könnte ihn noch auf Platz zwei in der Gesamtwertung hinter dem bereits feststehenden Meister António Félix Da Costa (DS Techeetah) bringen.

Als die Formel E in Berlin erstmals ohne Zuschauer die 24 Autos auf die Strecke schickte, wurde Günther disqualifiziert. Das zweite Rennen konnte er wegen eines Front- und Reifenschadens nicht beenden. Das dritte gewann er beeindruckend mit 0,128 Sekunden Vorsprung auf Robin Frijns beim engsten Zieleinlauf in der noch jungen Geschichte der Formel E. "Ich bin unbeschreiblich glücklich", sagte Günther nach seinem zweiten Saisonsieg. Nun war theoretisch sogar noch der Titelgewinn möglich. Aber die Freude hielt nicht lange an. Am Sonntag war sein Wagen nach einem Auffahrunfall in der ersten Runde derart demoliert, dass Günther nicht weitermachen konnte. "Noch den Titel zu holen war ohnehin nicht in meinem Kopf", sagt Günther. "Das waren reine Rechenspiele, ich versuche, realistisch zu sein."

Rechnerisch und realistisch liegt nun nach Günthers Ausfall der Portugiese Da Costa dank eines zweiten Platzes am Sonntag uneinholbar vorne in der Gesamtwertung. Er musste im Rennen nur seinen Teamkollegen Jean-Eric Vergne passieren lassen, den Meister der vergangenen zwei Jahre. Günther ist als bestplatzierter der vier deutschen Fahrer derzeit hinter Da Costa und Vergne Dritter - und wenn die anstehenden beiden Rennen in Berlin ähnlich gut laufen wie jenes am Samstag bei seinem Sieg, könnte er noch auf Rang zwei rutschen. "Das wäre mein Ziel, aber ich versuche eigentlich, nicht in Ergebnissen zu denken", sagt Günther. "Ich will aus jeder Session das Beste rausholen, das war ja schon immer meine Philosophie."

Es ist eine Herangehensweise, die ihn in dieser Saison schon ganz an die Spitze, aber auch aus den Punkterängen raus gebracht hat. Günther fuhr auf den 18. und 11. Platz bei den Rennen in Saudi Arabien. In Chile gewann er im Januar. Einen Monat später wurde er in Mexiko Elfter, in Marokko folgte mit Rang zwei der nächste Erfolg. Dann wurde die Saison durch die Coronavirus-Pandemie unterbrochen, bevor sie in Berlin fortgesetzt wurde. "Man kann meine Ergebnisse natürlich so lesen: Podium oder Nullnummer. Aber Fakt ist, dass ich oft nachträglich aus den Punkten gerutscht bin, weil wir wegen Softwareeinstellungen noch bestraft wurden", sagt Günther. "In der Formel E geht es extrem eng zu, es hängt tatsächlich an Kleinigkeiten. Und insgesamt bin ich wirklich sehr zufrieden mit meiner Saison."

Günther gilt als Perfektionist. Die lange Pause von fünf Monaten zwischen den Rennen in Marokko und Berlin wollte er also möglichst intensiv nutzen: Für Fahrten im Simulator, Videomeetings mit seinen Ingenieuren, ausgiebige Datenanalyse und vielen Fitnesseinheiten. Günther wollte alle Bereiche optimieren. "Ich habe viel reflektiert und darüber nachgedacht, was ich will vom Leben", sagt Günther. "Ich weiß es noch mehr zu schätzen, dass ich machen kann, was ich mit Abstand am meisten liebe." Besondere Herausforderungen gehören eben dazu.

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SZ vom 12.08.2020
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