Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Ein anderer Vettel

Lesezeit: 3 min

Zweimal Platz 15, null Punkte: Sebastian Vettels ehemaliger Co-Teamchef Gerhard Berger wirft die Frage auf, ob der viermalige Weltmeister noch der Rennfahrer ist, der er vor zehn Jahren war.

Von Elmar Brümmer, Portimao

Zur Überhöhung des eigenen Schaffens neigt Sebastian Vettel nicht. Er ist ein Realo, und deshalb orientiert er sich nach zwei von 23 geplanten Formel-1-Rennen auch vorrangig am Tabellarischen: Zweimal auf Rang 15 gewertet, null Punkte. Er muss das hinnehmen, und er nimmt es zunächst auf die eigene Kappe, auch wenn er vor dem Großen Preis von Portugal neue Teile vom Aston-Martin-Rennstall fordert. So will er die Entwicklungsgeschwindigkeit des Teams beschleunigen, das einmal vom Kampf um den dritten Platz in der Konstrukteurs-WM geträumt hat: "Wir brauchen einen größeren Schritt, um einen Unterschied zu machen." Die Reduktion auf das rein Technische ist ein bekanntes Hilfsmittel bei Rennfahrern, die in die Krise geschlittert sind. Ratio soll Sicherheit geben.

Aber alle Erklärbarkeit hat auch Grenzen, wie gerade erst Rekord-Weltmeister Lewis Hamilton befunden hat. Der Brite ist der Fahrer im Formel-1-Feld, mit dem sich Vettel am besten versteht. Dieselbe Generation, vergleichbarer Ehrgeiz, verbunden in der Gnadenlosigkeit auf der Piste und im Respekt außerhalb der Rennen. Hamilton, der mit einer gleichermaßen von Wut, Können, Reaktionsschnelligkeit und Rennglück getriebenen Fahrt in Imola aus dem Kiesbett heraus noch auf dem zweiten Platz gelandet war, verlässt sich stark aufs Mentale, wie jüngst nach seiner 99. Pole-Position: "Unter dem Helm liegt das komplexe Schlachtfeld des Geistes. Zerbrechlich, feindlich, friedvoll, liebevoll und leidenschaftlich."

Leider folgt Sebastian Vettel aus Prinzip nicht den sozialen Netzwerken, weshalb ihm die anschließende therapeutische Anweisung Hamiltons an seine Follower vermutlich auch verborgen geblieben ist. "Ich sage mir selbst: Ich bin nur ein Gefäß für Licht und Liebe, ich kann alles sein, ich bin mutig, ich bin stark, ich habe unermessliche Kraft", dichtete der WM-Tabellenführer, "mit dem Geist lässt sich alles überwinden."

Überwindung, ein gutes Stichwort. Kürzlich hat Sebastian Vettel bekannt gegeben, dass er gern einmal einen Ironman-Triathlon durchstehen würde. So gesehen ist sein Schaffen im grünen Rennwagen als Ausdauerübung zu verstehen. Schnelle Trendwenden kommen in der Formel 1 selten vor, in seinem Fall zusätzlich erschwert durch ein offenbar nachteiliges Fahrzeugkonzept und ein striktes Budgetlimit.

Die Ferrari-Leidenszeit liegt hinter ihm. Aber sechs Jahre Maranello sind nicht so einfach zu löschen

Das eigentliche Problem liegt jedoch in der mangelnden Erfahrung, was bei einem Routinier mit 259 Grand-Prix-Einsätzen und 53 Siegen zunächst komisch klingt. Doch der Umstieg von einem Rennauto ins andere ist komplizierter, als einen Mietwagen zu wechseln. Das besondere Problem in diesem Jahr ist die drastisch gekürzte Eingewöhnungszeit. Bislang hat er ganze 2006 Kilometer in Grün abgespult. Das reicht noch nicht, um sich mit der komplett anderen Charakteristik des Autos und den Abläufen an der neuen Chauffeurstelle vollständig zu synchronisieren. Die Ferrari-Leidenszeit mag hinter dem 33-Jährigen liegen, aber sechs Jahre Maranello sind nicht so einfach aus einem Fahrergehirn zu löschen. Ein klassisches Umsteiger-Probleme, das auch die ebenso routinierten Piloten Fernando Alonso und Daniel Ricciardo ereilt hat. "Wenn die Philosophien der Autos so unterschiedlich sind, dann dauert es seine Zeit", weiß Aston-Martin-Teamchef Otmar Szafnauer. Wie lange die Schonfrist gilt, weiß jedoch keiner.

Bleiben Vettel vorerst die Hoffnung und der Wille. Nichts mehr als ein "sauberes Wochenende" wünscht sich der Heppenheimer an der Algarve, und weiß, dass er sich selbst dazu verändern muss: "Ich habe noch nicht das Maximum aus dem Auto herausgeholt. Das Gefühl ist immerhin ein bisschen besser geworden." Dieser Drang, vielleicht auch der Zwang, kann gefährlich werden. Aber irgendwie muss er es schaffen, nach Fahrfehlern, Unfällen, Taktikpannen und Defekten im internen Duell mit dem elf Jahre jüngeren Lance Stroll, der immerhin auf vier WM-Punkte kommt, besser auszusehen - sonst drohen ihm die Argumente auszugehen.

Die Reduktion allein auf den noch fehlenden Wohlfühlfaktor mag Gerhard Berger in seiner Analyse nicht gelten lassen. Der Österreicher, der Co-Teamchef von Toro Rosso war, als Vettel dort seinen ersten Formel-1-Sieg feierte, leidet mit seinem Freund, dem er im Vorjahr zum Aufhören geraten hatte. Berger, heute DTM-Chef, fühlt sich an seine eigenen Abschiedsjahre Ende der Neunziger erinnert: "Es kommt irgendwann der Punkt, da glaubst du, du machst noch alles richtig. Aber es kommt der Punkt, da geht's bergab. Da reicht die Erfahrung nicht mehr aus, um mit den Jungen mitzuhalten. Sowas ist eine große Enttäuschung für alle Beteiligten. Ich glaube nicht, dass er noch der gleiche Sebastian ist wie der, den wir vor zehn Jahren erlebt haben." Ein ungewohnt hartes Urteil, gültig jedoch bis zum Beweis des Gegenteils.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5280420
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.