Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Vettel schimpft sich in die Krise

Lesezeit: 3 min

Von René Hofmann, Shanghai/München

"Verrückt", "lebensmüde", "ein Torpedo": Sebastian Vettel hat beim Großen Preis von China Fantasie bewiesen. Ähnlich kreativ wie der Russe Daniel Kwjat ist selten ein Formel-1-Fahrer beschimpft worden. Der Red-Bull-Pilot kam Vettel in der ersten Kurve so nahe, dass der beim Ausweichversuch seinen Ferrari-Kollegen Kimi Räikkönen touchierte.

Alle Siegchancen waren in dem Moment dahin. Räikkönen schleppte sich schließlich als Fünfter ins Ziel, Vettel wurde mit mehr als 35 Sekunden Rückstand auf den souveränen Sieger Nico Rosberg im Mercedes Zweiter - vor Kwjat, den er unmittelbar vor der Siegerehrung zur Rede stellte:

Der Dialog endete mit einer ziemlich klaren Ansage des Youngsters

Vettel: "Was hast du da am Start gemacht?"

Kwjat: "Ja, gut . . ."

Vettel: "Nein, nicht gut. Du bist wie ein Torpedo reingeschossen."

Kwjat: "Das ist Racing."

Vettel: "Wenn ich auf meiner Linie bleibe, dann gibt es einen Unfall."

Kwjat: "Na dann bleib' halt nicht drauf!"

Dafür, dass da ein 21-Jähriger mit einem viermaligen Champion sprach, war es ein bemerkenswerter Dialog. Er endete mit einer ziemlich klaren Ansage des Youngsters, für den in zwei Wochen in Sotschi sein Heimrennen ansteht. "Ich werde solche Risiken immer wieder eingehen, damit sollte jeder rechnen", ließ Kwjat nicht nur Vettel wissen.

Ein Crash in der ersten Kurve - das ist der Horror eines jeden Rennfahrers. Gleich bei erster Gelegenheit aber auch noch den Teamkollegen zu rammen - das ist der doppelte Horror. "Der Albtraum" nannte Vettel das Szenario, das er auf dem Shanghai International Circuit in der ersten Biegung erlebte, die wegen ihres Layouts den Kosenamen Schneckenkurve trägt.

Es sah eher so aus, als habe Vettel überreagiert

Beide Ferraris waren anschließend nicht mehr im Vollbesitz all ihrer Teile. Wirklich auffallend an der Aktion aber war etwas anderes: Wie umgehend Vettel sich am Funk meldete und Kwjat die Schuld an der Kollision zuwies. Nicht nur einmal formulierte er dazu drastische Worte. Kaum hatte er die Ziellinie gekreuzt, übermittelte er seiner Scuderia ein "scusate" und betonte noch einmal, er habe wirklich, wirklich nichts für das Gegeneinander mit dem Gleichgefärbten gekonnt.

Allein: Das stimmte so nicht ganz. Die Zeitlupen offenbarten, dass Kwjat Vettel gar nicht wirklich gefährlich nahe gekommen war. Der Angreifer hatte seine Spur sauber gehalten. Es sah eher so aus, als habe Vettel überreagiert und dies anschließend mit der nächsten Überreaktion kaschieren wollen. Die vielen Schimpfworte in Richtung Kwjat und die laute Entschuldigung ans eigene Team - vielleicht offenbarte beides nur, wie sehr der 28-Jährige unter Druck steht, wie sehr er sich selbst unter Erfolgsdruck setzt.

Der WM-Titel: Das ist Vettels erklärtes Ziel seit seinem Wechsel zum Traditionsteam im vergangenen Jahr. Drei Jahre haben sich die beiden Parteien dafür zunächst einmal einander versprochen. 2015 hatte Vettel keine Chance gegen die beiden Mercedes-Fahrer. Und in diesem Jahr sieht es - bei Lichte betrachtet - auch nicht viel besser aus. Rosberg hat die ersten drei Rennen locker gewonnen. Vettels Rückstand beträgt bereits 42 Punkte. Zur Relation: Vettel hat bisher erst 33 Zähler gesammelt, ein Sieg bringt 25 Punkte.

Ferrari ist näher dran als im vergangenen Jahr, das schon. Aber für Siege muss alles optimal laufen, und selbst dann gilt es eher für den kurzen Sprint in der Qualifikation als für den Marathon im Rennen. Das ist kein wirklich solides Fundament, um einen Titelanspruch darauf zu bauen. Vettel weiß das. Und er wusste auch, dass in China Sergio Marchionne aus nächster Nähe zusah, der mächtige und ungeduldige Ferrari-Präsident.

"Ferrari muss immer ganz vorne stehen"

Der 63-Jährige hat ein ziemlich einfaches Weltbild. "Ferrari muss immer ganz vorne stehen", findet er. Seit dem Großen Preis von Singapur am 20. September 2015 war das in der Formel 1 nicht mehr der Fall. Im Endklassement wurde 2007 Kimi Räikkönen als letzter Ferrari-Fahrer ganz oben geführt. In Shanghai, das glaubte zumindest Teamchef Maurizio Arrivabene, hätte sich nun eine "sehr, sehr, sehr gute Chance" für einen Triumph geboten: "Unser Auto ist gut, das haben wir gezeigt."

Nach dem Crash in der ersten Kurve aber war die Chance dahin, das tatsächlich demonstrieren zu können. "Der Start war grausam", grollte Marchionne. Bevor er sich von der Rennstrecke trollte, ließ er die Seinen noch wissen: "Die Uhr tickt." Es klang wie eine Drohung an alle Beteiligten.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2016
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