Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Katar:Hamiltons einsamer Kampf

Lesezeit: 3 min

Erstmals fährt die Formel 1 in Katar, doch außer Lewis Hamilton kritisiert kaum einer die Menschenrechtslage vor Ort. Stattdessen verbreitet der Formel-1-Chef Behauptungen, die auch der Fußball gerne anführt.

Von Philipp Schneider, Doha/München

An diesem Sonntag werden kurz nach Sonnenuntergang erstmals in der Geschichte der Formel 1 die Motoren auf dem Losail International Circuit bei Doha angeworfen - auf den Tag genau ein Jahr, bevor an gleicher Stelle eine Fußball-WM angepfiffen wird. Spätestens dann werden sich die Protagonisten von zwei internationalen sportlichen Großveranstaltungen auch an ihrer Haltung messen lassen müssen, wie sie sich positioniert haben zur weiter auf kräftiger Flamme köchelnden Debatte um die Situation der Menschenrechte im Gastgeberland Katar.

Wer den Ankündigungen der dänischen Fußballer Glauben schenkt, kann schon jetzt zum Ergebnis kommen, dass dort elf Männer in verschwitzten Trikots eine knackigere Botschaft versenden werden als Hunderte Fahrer, Ingenieure und Mechaniker in der Formel 1. Der Dänische Fußballverband versprach in dieser Woche, den Avancen der kommerziellen Partner in Katar nicht nachzugeben, deren Tätigkeiten einzuschränken und keine Veranstaltungen zu besuchen, die nicht sportlicher Art sind. Auch soll auf die Logos von zwei Sponsoren verzichtet werden, um den Spielern Platz für politische Botschaften einzuräumen. Die Geste der Dänen ist klar: Wir lassen uns nicht fürs Wegschauen bezahlen!

Gleich fünf Mal brettert die Formel 1 rund um den Jahreswechsel am Persischen Golf

Die Formel 1 hingegen lässt sich zunächst einmal fürstlich entlohnen. Um die 50 Millionen Dollar Startgeld lassen sich die Katarer ihr Grand-Prix-Debüt in der Wüste kosten. Und nach drei Tagen mit reichlich Interviews darf das Zwischenfazit lauten: Symbolische Gesten der Kritik, zu denen Amnesty International im Vorfeld aufgerufen hatte, sind in Katar so überschaubar wie die Niederschlagsmenge in den vergangenen Wochen. Die einzige Ausnahme ist mal wieder Lewis Hamilton. Der siebenmalige Weltmeister wirkte gut vorbereitet, als ihn Journalisten am Donnerstag mit dem jüngsten "Reality Check" von Amnesty zur Lage der Arbeitsmigranten im Emirat konfrontierten. "Wenn der Sport an diese Orte geht, ist er verpflichtet, das Bewusstsein für die Probleme zu schärfen", sagte Hamilton. "Diese Orte müssen genau untersucht werden. Gleichberechtigung ist ein ernstes Thema."

Diese Orte. "These places", wie Hamilton in seiner Muttersprache sagte. Einerseits war die geografische Ausweitung des Problems angemessen. Angesichts der Tatsache, dass die Formel 1 über den Jahreswechsel fünf Rennen nacheinander am Persischen Golf bestreiten wird. Auf die Sause in Katar folgen die Premiere in Saudi-Arabien und das Saisonfinale in Abu Dhabi. Nach der Winterpause brettern sie im März wieder los in Bahrain, dann geht's schon wieder nach Saudi-Arabien. An jedem dieser Orte haben Menschenrechtsorganisationen Verstöße dokumentiert. Andererseits blieb Hamilton mit "these places" diplomatisch so vage, dass sich die Katarer nicht direkt angesprochen fühlen mussten.

Formel-1-Boss Domenicali setzt der harten Realität eine blühende Utopie entgegen

In einem Interview mit der BBC hat Formel-1-Boss Stefano Domenicali versucht, das anstehende Rennquintett am Golf so zu flankieren, dass den Debatten die Härte genommen wird. Amnestys Reality Check setzte er eine Utopie von blühenden Menschenrechten entgegen. Die Verträge der Formel 1 mit Katar und Saudi-Arabien enthielten Garantien, sagte Domenicali, dass die Länder die Menschenrechte in allen Aspekten ihrer Verbindung mit dem Sport respektieren müssten. Wenn sie sich nicht daran hielten, habe die Formel 1 das Recht, ihren Vertrag mit ihnen zu brechen. Das klang spitze! Fraglich blieb allein, wie groß der Wille der Formel 1 ist, einen Vertrag aufzukündigen, den sich auch Saudi-Arabien mehr als 40 Millionen Dollar jährlich kosten lässt. Vor allem aber: Wie verhält es sich mit den Rechten der Menschen, die in keiner Verbindung zum Sport stehen? "Beide Länder haben äußerst besorgniserregende Menschenrechtsbilanzen", teilte Amnesty mit: "Von Katars systematischer Misshandlung von Wanderarbeitern und seinen drakonischen Einschränkungen der Redefreiheit bis hin zu Saudi-Arabiens umfassendem Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten und der berüchtigten Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi."

Dem entgegen hielt Domenicali das auch vom Fußball erprobte Argument, der wuchtige Sport könne mit seinen Stippvisiten in Katar eine Wandlung zum Guten erwirken. "Ich glaube, dass das Rampenlicht, das wir mitbringen, für den Willen und die Wünsche zur Veränderung, die diese Länder schon zeigen, von Vorteil sein wird", sagte er: "Ich glaube nicht, dass der Ausschluss von Ländern und die Aussage, dass wir nicht da sein wollen, dazu beitragen wird, dass sich die Situation verbessert." Wirklich nicht?

So richtig voran geht es laut Amnesty trotz Heimsuchungen von Fußball und Formel 1 nicht in Katar. Selbst die von der UN-Arbeitsorganisation Ilo gefeierte Abschaffung des Kafala-Systems, das ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen bindet, scheint nur halbherzig exekutiert worden zu sein. Die Migranten seien de facto weiter an ihren Sponsor gebunden. Für eine Auflösung des Verhältnisses braucht es demnach eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, und dafür wiederum verlangten Arbeitgeber teilweise eine Gebühr von mehreren Tausend Dollar.

Er sei "kein Experte in Menschenrechtsfragen", entschuldigte sich Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas in Katar, diese seien ihm dennoch wichtig. So aber tritt die Formel 1 auf der Stelle. Weil ein siebenmaliger Weltmeister als Revolutionsführer nicht reicht. "Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich bereit bin, meine Karriere zu riskieren", hat Hamilton kürzlich im SZ-Interview gesagt. Wenn es dazu diene, "die Gedanken der Mächtigen anzuregen, um einen Wandel einzuleiten, der den Menschen hilft".

Am Donnerstag in Katar klang er sehr einsam. "Wünschte ich, dass sich mehr Sportler zu diesen Themen äußern?", fragte Hamilton. Und gab sogleich die Antwort: "Ja."

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