Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Katar:Hamilton siegt einsam in der Wüste

Lesezeit: 5 min

In dominanter Manier gewinnt der Brite das erste Formel-1-Rennen in Katar, der WM-Kampf mit Max Verstappen ist völlig offen. Für die beste Geschichte sorgt aber Fernando Alonso.

Von Philipp Schneider, Doha/München

Der Mann, der am Sonntag großen Einfluss hätte haben können auf den engen Titelkampf in der Formel 1, war alles andere als unzufrieden, als sich herausstellte, dass es ihm nicht gelungen war. Wieso auch nicht? Es war ja zweifelsfrei auch so ein Festtag für den 40-Jährigen aus Oviedo in Spanien. Sieben Jahre hatte der zweimalige Weltmeister auf diesen Moment warten müssen, den er vor einer gefühlten Ewigkeit alle 14 Tage erlebte: Aber, ja, Fernando Alonso bestieg am Sonntag in der Nacht von Katar mal wieder ein Podest der Formel 1. Sein erstes seit dem Rennen in Budapest 2014. Im unterlegenen Alpine war Alonso tatsächlich Dritter geworden, hinter Lewis Hamilton, der einen zu keiner Zeit gefährdeten Start-und-Ziel-Sieg auf den Wüstenasphalt brannte und das Offensichtliche in Worte fasste: "Ich bin alleine vorneweg gefahren, sowas kann man auch genießen."

Und hinter dem Zweiten Max Verstappen, der die Strafe von fünf Plätzen, die er wegen eines Delikts in der Qualifikation erhalten hatte, wieder aufholte. Alonso war es am Ende auch gelungen, seinen Alpine auf uralten Reifen ohne Platzer über die Ziellinie zu retten, was weder Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas gelang, noch den zwei Williams von George Russell und Nicholas Latifi. "Ob ich das genieße?", fragte Alonso. "Scheiße, ich habe so lange darauf gewartet!"

Und was den Titelkampf angeht: Zwei Rennen vor Schluss hat Hamilton seinen Rückstand auf Verstappen auf acht Punkte verkürzt. "Großartig, Lewis! Und jetzt fahren wir nach Saudi-Arabien", gratulierte sein Teamchef Toto Wolff.

Die Premiere der Formel 1 auf dem Losail International Circuit in Doha fiel unspektakulärer aus, als es das unterhaltsame Vorprogramm am Freitag verheißen hatte. Am Abend hatte es ein ewiges Treffen der Fahrer mit Fia-Rennleiter Michael Masi gegeben, bei dem vor allem das umstrittene, knallharte Verteidigungsmanöver von Verstappen zuletzt in Brasilien diskutiert wurde, das sich die Kommissare merkwürdigerweise nicht einmal anschauten. Und das dann auch einer von Mercedes im Nachgang angestrebten Revision mangels neuer Beweise einer Überprüfung entkam. Doch sonderlich schlau sind die Piloten aus dem Meeting nicht geworden, wie sie am Samstag zugaben. "Es ist immer noch nicht klar, wo die Grenzen der Strecke sind", sagte Hamilton. "Aber die weiße Linie ist es beim Überholen eindeutig nicht mehr."

All die Sanktionen bescherten eine Startaufstellung, die Alfred Hitchcock nicht besser hätte ersinnen können

In einem Anflug von britischem Humor hatte die Regie der Formel 1 zusätzlich die Teamchefs Christian Horner von Red Bull und Wolff in einer gemeinsamen Pressekonferenz aufeinander losgelassen. Es gebe "keine Beziehung" zum Kontrahenten, ließ Horner bei dieser Gelegenheit krachend wissen, "es ist ein Wettkampf. Ich muss nicht zum Dinner mit Toto gehen, ich muss nicht seinen Hintern küssen. Andere Teamchefs haben das vielleicht nötig."

Und weil Red Bull inmitten der ohnehin vergifteten Atmosphäre weiterhin subtil mit Klagen gegen den Heckflügel der Silberpfeile droht, beschrieb Wolff den politischen Status Quo mit einem Bild aus dem Kampfsport. Begonnen habe die Saison wie beim Amateurboxen mit Kopfschutz, sagte Wolff, "dann war es irgendwann Profiboxen, und mittlerweile sind wir beim Martial Arts". Also beim auf Blut und Schmerzen ausgelegten Kampf ohne Handschuhe.

Die Befürchtung, dass die Kommissare mit ihrer Sanftmut gegenüber Verstappen einen Präzedenzfall geschaffen haben könnten, bewahrheitete sich dann nicht. Dass es nicht zu einem neuerlichen Rad-an-Rad-Duell kam, lag auch an zwei Strafen, die die Kommissare verhängen mussten, weil das Reglement nicht viel Spiel ließ: Nachdem er in der Qualifikation eine doppelt geschwenkte gelbe Flagge übersehen (oder ignoriert) hatte, wurde Verstappen aus der zweitbeliebtesten Parkbucht um fünf Plätze nach hinten geschoben. Für das Missachten einer einfachen gelben Flagge wurde zudem Bottas bestraft: Anstelle von Position drei rauschte er als Fünfter ins Rennen. Weil Horner vor dem Rennstart mit einer merkwürdigen Kritik auffiel, musste er im Anschluss zu einer Anhörung bei den Kommissaren und sich entschuldigen. Auf Sky hatte er gesagt: "Es ist unglaublich. Wir haben einen Milliardensport", und der Internationale Automobil-Verband Fia habe die Stewards nicht im Griff. Einer der Streckenposten hatte selbstständig doppelt gewunken. Beachten müssen hätte Verstappen das trotzdem.

All die Sanktionen bescherten eine Startaufstellung, die Alfred Hitchcock nicht besser hätte ersinnen können. Zumindest in der Theorie. Hinter Hamilton lauerten der Franzose Pierre Gasly und der Altstar Alonso. Gasly fährt für die Red-Bull-Tochter Alpha Tauri. Und Alonso rückte seinem alten Rivalen aus gemeinsamen Zoff-Tagen bei McLaren so dicht an den Auspuff wie lange nicht. "Ich setze massiv auf Alonso", sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko vor dem Start. Zumal der genau wie Gasly auf den schnelleren und weicheren Reifen rollte als Hamilton.

371 Meter lang ist der Anlauf von der Pole Position bis zur ersten Kurve in Katar, Alonso saugte sich in den Windschatten, kam aber nur an Gasly vorbei. Wie ein Derwisch legte Verstappen los, der sich gleich in den ersten Kurven auf Platz vier vorkämpfte und auch noch geistesgegenwärtig bremste, um eine Kollision mit Alonso zu vermeiden. In der vierten Runde schaffte er es an Gasly vorbei, dann flog er auch an Alonso vorbei. Nach nur fünf Umdrehungen war er wieder Zweiter und hatte seine Strafe gut gemacht. Und Alonso hatte die ganz große Überraschung verpasst, von der er womöglich geträumt hatte.

Der doch nicht ganz so schlaue Plan mit Bottas endet für Mercedes in einem Feuerwerk

Im Synchronflug segelten Hamilton und Verstappen nun durch die Wüste, irrwitzige zweieinhalb Sekunden pro Runde nahmen sie zeitweise der Konkurrenz. Der Niederländer fragte über Funk nach, ob er sich seinen Frontflügel bei einem Ausritt vom Asphaltband demoliert haben könnte. Seine Zeiten brachen ein, er konnte Hamilton nicht folgen. "Es sieht so aus, dass Verstappen mehr mit dem Heck zu kämpfen hat", erkannten die Ingenieure bei Mercedes.

"Komm jetzt, Valtteri, schnapp dir die Autos", funkte ein hörbar genervter Toto Wolff an Hamiltons Adjutanten Bottas, der nach dem Start von Platz fünf auf elf durchgereicht worden und mal wieder keine große Hilfe war.

In Runde 18 steuerte Verstappen seine Box an, er schaffte es gerade so vor Alonso zurück auf die Strecke. Unmittelbar danach hielt auch Hamilton, er ließ sich genau wie Verstappen die härtesten Reifen anschrauben. "Der Stopp kam zu früh", klagte Hamilton, der offenbar davon geträumt hatte, es mit nur einer Rast ins Ziel zu schaffen. Aber angesichts seines wuchtigen Vorsprungs von acht Sekunden erregte das Leiden der Silberpfeile an diesem Tag wohl nicht mal in Stuttgart Mitleid.

"Wir glauben, dass Verstappen zweimal halten wird", ließ Mercedes nun Bottas wissen. Aha, das war also der Plan! Indem sie Bottas nur einen Service angedeihen lassen wollten, sollte er es noch aufs Podest schaffen. Nach der Hälfte des Rennes war er Dritter - aber auch der Einzige, der noch nicht die Werkstatt angesteuert hatte. Kurz darauf endete der doch nicht ganz so schlaue Plan mit Bottas in einem Feuerwerk: Sein linker Vorderreifen war platt, sein Auto verteilte glimmende Partikel und machte Bottas zum Funkenmariechen. Er schleppte sich an die Box, musste aber später aufgeben.

15 Runden vor Schluss hielt Verstappen ein zweites Mal, danach auch Hamilton. Er musste seinen Kontrahenten nur kopieren, um keinen strategischen Fehler zu begehen an diesem Tag.

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