Süddeutsche Zeitung

Fifa:Fußball ohne Abseits? Ernsthaft?

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Marco van Basten, der Technische Direktor der Fifa, will den Fußball reformieren. Seine Ideen sind absurd.

Kommentar von Thomas Kistner

Der alte Fifa-Chef Sepp Blatter hatte eine Schwäche fürs Entertainment; nicht nur, wenn er WM-Auslosungen tänzerisch untermalte. Der Fußball verdankt ihm aufregende Innovationen, von der Vergrößerung aller Fußballtore weltweit über die Filetierung des Spiels in vier 25-minütige Abschnitte (das brächte mehr Werbepausen) bis zu lasziver Bekleidung für Fußballerinnen, um das männliche Publikum für dieses Genre zu gewinnen. Das Beste an Blatters vielen guten Ideen war, dass nie die Gefahr bestand, sie könnten wahr werden.

Das ist heute anders. Kein Jahr ist Gianni Infantino im Amt, Blatters Thronerbe und Walliser Dorfnachbar, schon hat er die Fußball-WM in ein Jedermann-Turnier verwandelt. Wobei er die Aufblähung von 32 auf 48 Teams als Not-Operation verkaufte, als müsse das attraktivste Event des Globus vorm Kollaps gerettet werden. So flott und besinnungslos geht es nun weiter. Tage nach dem WM-Coup tritt der Technische Direktor in die Bütt, auch Marco van Basten hat tolle Ideen. Er will Zeitstrafen einführen, Shoot-outs statt Elfmeterschießen und eine Netto-Spielzeit für die Schlussphase. Und: Er will das Abseits abschaffen. Ernsthaft.

Van Basten arbeitet seit Herbst für die Fifa Infantinos, den er bis vor Kurzem noch für die Inkarnation allen Übels im Fußball hielt: "Schleimige Politiker", schrieb van Basten im Fachmagazin Voetbal International, die nur an ihre Karriere dächten und mit billigen Tricks arbeiteten. Explizit rügte er Infantinos Wahlversprechen: die WM-Aufstockung und die Erhöhung der Mittel an alle Verbände.

Marco van Basten war ein großer Kicker, einer der Größten seiner Zeit; unvergessen sein Volleytreffer, der den Niederlanden den EM-Titel 1988 über die Sowjetunion sicherte. Aber wie viele große Kicker fand er nie seinen Platz in der Post-Profi-Ära. Die Jobs als Manager und Sportdirektor im internationalen Klubfußball sind dicht besetzt. Da kam offenbar das Werben des bis vor Kurzem noch so ungeliebten Infantino zur rechten Zeit.

Abschaffung der Abseitsregel? Eine bizarre Vorstellung

Der Fifa-Boss verfolgt seinerseits eine Strategie. Sein Problem ist, dass sich die Fifa dank bekannter Turbulenzen eine Reform aufladen musste, die das Hauptamt stark aufwertet - und den Präsidentenjob zum Frühstücksdirektor reduziert. Infantino löst das Problem, indem er Leute ins Hauptamt holt, die ihn unentbehrlich machen. Ins Generalsekretariat berief er die UN-Mitarbeiterin Fatma Samoura; die Senegalesin kümmert sich gern um Fragen der Innendekoration.

Das Geschäft regelt ihr Vize Zvonimir Boban, umstrittener Ex-Kicker und Freund des Präsidenten. Weitere Ehemalige umgeben den Boss wie eine Prätorianer-Garde. Während van Basten das Spiel aufpeppt, wirkt im Problemfeld Südamerika ein anderer Altstar, der Infantino kürzlich noch attackiert hatte: Diego Maradona. Es heulen die Windmaschinen auf der Fifa-Bühne, während hinter den Kulissen Infantino das tut, was er gerade nicht tun sollte: den Laden regieren.

Und van Bastens Ideen? Shoot-outs statt Elfmeterschießen, das brächte keine Zeitersparnis. Überlegenswert erscheinen Zeitstrafen statt gelber Karten: Sie könnten das taktische Foulspiel reduzieren, das manche Teams ja extensiv betreiben, auch würden so die Leidtragenden direkt von der Unfairness ihrer Gegner profitieren. Aber das Ende des Abseits? Bizarr, dass einer wie van Basten das vorschlägt. Die Abseitsregel ist Kernelement des Spiels, sie verhindert, dass sich Stürmer nur vor Gegners Gehäuse tummeln, das Mittelfeld verwaist und das Spiel zum Stellungskampf wird. Wie im Handball, wo der Wurfkreis allein einen Spielstil wie im American Football verhindert.

Van Basten, heißt es bei der Fifa diskret, habe das Abseits als Stürmer nie gemocht. Kann Fußball so einfach sein?

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SZ vom 21.01.2017
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