Süddeutsche Zeitung

Fehlstart des VfB Stuttgart:Stuttgart plant den Überfall, wird aber beklaut

Lesezeit: 2 min

Von Javier Cáceres, Berlin

Aus unerfindlichen Gründen ist die Begegnung zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart noch nicht in die Liste der Derbys aufgenommen worde, obwohl diese Liste durch den inflationären Gebrauch dieses Fachausdrucks absurd lang geworden ist. Man denke nur an die Nord-Süd-Derbys zwischen dem FC Bayern einerseits und Werder Bremen oder dem Hamburger SV andererseits.

Hertha gegen Stuttgart, das ist ja irgendwie auch: tiefstes Westberlin gegen den von Schwaben okkupierten Prenzlauer Berg, juhnkehaftes Ur-Berlinertum gegen schwäbische ExPats, "einmal-Döner-bitte" gegen Spätzle. Und vielleicht erklärt das auch die Emotionalität, die im Berliner Olympiastadion in der Kurve mit den Stuttgarter Fans herrschte, als die Profis des VfB der Bundesliga-Liturgie Folge leisteten und sich also, ob der 1:2-Niederlage erkennbar demütig und niedergeschlagen, zum gut gefüllten Sektor mit den VfB-Fans begaben. Der eine oder andere Anhänger wird an diesem späten Samstagnachmittag schon geahnt haben, dass der sonntägliche Gang zum Bäcker in Little Swabia ("seggs Weggle, bidde") diesmal noch beschwerlicher werden würde als sonst.

Unter den Verantwortlichen herrschte volles Verständnis für den Groll, VfB-Trainer Alexander Zorniger sagte: "Ich hab' ja auch so einen Hals." Der VfB hat in dieser noch jungen Saison vier von vier Spielen verloren, das ist eine dramatisch schlechte Ausbeute. Im Lichte der jüngsten Hoffnung auf segensreichen, neuen Fußball wird daraus eine gigantische Fallhöhe, wie Zorniger andeutete. Es beginnt sich allmählich zu rächen, dass sich irgendwann das Wort vom "Überfall-Fußball" in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatte. Denn die Stuttgarter wirken bisher wie ein Team, das sich beim ambitionierten Versuch, unvorbereitete Gegner avantgardistisch zu zerlegen, regelmäßig die eigene Brieftasche klauen lässt.

Daran änderte auch nichts, dass Zorniger versuchte, die Verteidigungslinie nun zehn Meter näher am eigenen Tor aufzubauen; er hatte sich dadurch größere Sicherheit versprochen. Doch nach 14 Minuten hatte Herthas Flügelspieler Genki Haraguchi das 1:0 erzielt.

Das war einerseits der Lohn dafür, dass Hertha taktisch bestens präpariert in die Partie gegangen war: Die Berliner reagierten auf Zornigers Umstellung vom 4-4-2 aufs 4-1-4-1-System und agierten in der vordersten Angriffsfront oft in Überzahl. Herthas Assistenztrainer Reiner Widmayer, einst selbst beim VfB angestellt, hatte sich in der Länderspiel-Pause das Stuttgarter Testspiel in Heidenheim angesehen und die entscheidenden Schlüsse gezogen. Andererseits war das frühe Führungstor auch die Strafe für das absurd naive Abwehrverhalten der Stuttgarter; sie ließen sich beim 0:1 nach einem Einwurf an der eigenen Eckfahne übertölpeln.

Wenn man sich so anstelle, helfe auch "eine Sechser-Kette" nichts, zürnte Zorniger. Und fügte, ebenso treffend, hinzu, dass auch Herthas Treffer zum 2:0 nicht einen Systemfehler zur Ursache hatte, sondern einen Treffer aus der "Kategorie Sonntagsschuss" darstellte: Herthas Kapitän Fabian Lustenberger jagte einen aus dem Strafraum herausgeköpfelten Ball aus 18 Metern volley ins Netz. Ausgerechnet in einer Phase, in der die Stuttgarter das Spiel gerade an sich gerissen hatten, weil die Mannschaft sich laut Zorniger in der anfänglichen Zurückhaltung nicht kommod fühlte: "Die Truppe sagte: 'Das ist nicht unser Spiel!'"

Trainerfrage kommt "zehn Monate zu früh"

Dass der Treffer auch noch in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit fiel, "das trifft dich dann natürlich schon", sagte VfB-Sportvorstand Robin Dutt, der mit routiniertem Sarkasmus reagierte, als er am vierten Spieltag plötzlich erstaunlich grundsätzliche Fragen gestellt bekam. Ob er ratlos sei, was ihm jetzt noch den Glauben gebe, dass es besser werden könne, das volle Programm eben. Sogar die Frage nach dem Trainer wurde ihm in den Katakomben entgegengeraunt; Dutt meinte trocken, ein derartiges Auskunfts-Ersuchen komme "zehn Monate zu früh".

Immerhin: Aus der Mannschaft kommen Töne, die darauf schließen lassen, dass sie weiterhin an Zornigers Projekt glauben. So appellierte der österreichische Nationalverteidiger Florian Klein etwa daran, an den Ansatz aus der Saisonvorbereitung anzuknüpfen, "auch wenn das nicht belohnt worden ist mit den Punkten". Eines sei jedenfalls klar: "So spielen wie heute die ersten 20, 25 Minuten, das bringt nix", sagte Klein. Was zu beweisen war.

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SZ vom 14.09.2015
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