Süddeutsche Zeitung

Robert Lewandowski beim FC Bayern:Mehr als ein Stürmer

Lesezeit: 3 min

Der Bayern-Angreifer ist der Spieler der Saison. Er hat seinen Stil geändert - und seiner Mannschaft über so manche Schwächephase hinweggeholfen.

Von Christof Kneer, München

Für Robert Lewandowski steht zu befürchten, dass die Abwehrspieler aus Freiburg und Wolfsburg doch zu gut sind. Auch gelten sie als menschlich integer, man wird sie kaum überzeugen können, ihren Arbeitgebern vorsätzlich zu schaden. Nach bestem Wissen und Gewissen werden die Abwehrspieler aus Freiburg und Wolfsburg gegen Lewandowski verteidigen, und so sollte man der Wahrheit entschlossen ins Auge sehen: Das wird wohl nix mehr. Neun Tore wird Robert Lewandowski in den verbleibenden beiden Bundesligaspielen nicht mehr schießen.

Neun Tore fehlen ihm zu Gerd Müllers ewigem Bundesligarekord aus der Saison 1971/72, der nun für mindestens eine weitere Saison ewig bleiben wird.

4o Tore hat Müller damals geschossen, Lewandowski steht nach seinem titelstiftenden 1:0 in Bremen bei 31. Vermutlich wird auch die ganze Mannschaft eine Bestmarke aus der Saison 1971/72 verfehlen, 101 Treffer gelangen den Bayern seinerzeit, die aktuelle Elf steht bei 93. Könnte auch eng werden gegen - siehe oben - gute Verteidiger aus Freiburg und Wolfsburg.

Lewandowskis Tor in Bremen war die Pointe

Stürmer definieren sich über Tore, und vielleicht ist Lewandowski mit 31 Jahren der beste Stürmer, der er jemals war. Dennoch ist auch dies eine Erkenntnis der Münchner Meistersaison: Lewandowski ist inzwischen mehr als ein Stürmer. Er ist ein Mannschaftsspieler geworden, und was für einer, nach all den Jahren.

Lewandowskis Tor in Bremen war die Pointe am Ende einer Bayern-Saison, die nicht immer witzig war. Eine Pointe war es nicht deshalb, weil es ein bemerkenswert schönes Tor war, eines, für das man Geschmeidigkeit, Athletik und Präzision in einem idealen Mischverhältnis braucht. Eine Pointe war es eher, weil es so gut passte: Wer sonst hätte der Elf in Bremen über ihre allmähliche Erschöpfung hinweghelfen sollen als dieser möglicherweise unzerstörbare Mittelstürmer, der kleinere Kundendienste wie eine Leisten- oder Schienbein-OP in die Winter- oder Corona-Pause legt und seine industrielle Torherstellung danach sofort wieder aufnimmt.

Natürlich hätte auch Goretzka das Tor in Bremen schießen können oder Kimmich oder Alaba, Spieler, die für die Veränderungen stehen, die der Trainer Flick herbeigeführt hat. Aber nichts davon wäre ohne Lewandowski möglich gewesen. Er war, trainerübergreifend, der Spieler der Saison.

Die alten Bilder hat man inzwischen ja tatsächlich vergessen: Lewandowski, der abwinkt, wenn ihn die Kollegen nicht anspielen; Lewandowski, der selber nicht abspielt; Lewandowski, der mit Robben genervte Blicke wechselt; Lewandowski, der den FC Bayern womöglich für unter seiner Würde hält und extra zu einem laut Fachjargon schillernden Agenten wechselt, der ihn endlich zu Real Madrid bringen soll.

Lewandowski winkt nicht mehr, er zieht jetzt. Er ist kein Solist (mehr), der auf Zuspiele wartet und mit dem Rest des Ladens nix zu tun haben mag. Er zieht den Laden jetzt selber, und zwar von vorne. Lewandowski hat dem Klub durch die Irrungen und Wirrungen dieser Spielzeit geholfen, er traf in guten wie in schlechten Zeiten, er war stabil auch in den instabilsten Phasen. Dass die Bayern im Herbst unter dem allenfalls noch tolerierten Trainer Niko Kovac keinen vollends uneinholbaren Punkterückstand anhäuften, lag vor allem an Lewandowski, der in jedem der ersten elf Saisonspiele mindestens einmal traf (ein Rekord, den nicht mal Gerd Müller schaffte).

So hat Lewandowski seiner Mannschaft und dem neuen Trainer Flick auch die Möglichkeit gegeben, sich und einander zu finden. Mannschaft und Flick wussten: Wir können was probieren, auf den da vorne ist Verlass. Irgendein Lewy-Tor fällt immer.

Man habe "keine Schwächen gezeigt", sagte Flick in Bremen, es war ein demonstratives Lob an seinen Kader, den er wirklich sehr gut findet, aber weiterhin für zu klein hält. Natürlich hat Flick die jüngsten Müdigkeitsanfälle bemerkt, aber er weiß ja auch: Die kann man sich mit so einem nimmermüden Stürmer schon mal leisten.

In Bremen hat Lewandowski nun mit Pierre-Emerick Aubameyang gleichgezogen, noch nie in 57 Jahren Bundesliga hat ein ausländischer Profi mehr als 31 Saisontore erzielt. Ein Tor noch, dann gehört Lewandowski dieser Rekord ganz allein, und nix für ungut, ihr Verteidiger aus Frei- und Wolfsburg: Das sollte doch zu schaffen sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4939232
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.