Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:Tief versunken im Schlamassel

Lesezeit: 3 min

Von Jonas Beckenkamp, Porto

Davonschwimmen wäre eine Option gewesen, schließlich liegt das Estadio do Dragão in Porto in Sichtweite des Flusses Douro. Wer einen Platz auf der oberen Tribünenhälfte ergattert, kann sogar fast bis aufs Meer schauen. Aber Jérôme Boateng wählte den direkten Weg zum Abtauchen: Als der Schlusspfiff gerade ertönt war, spurtete der Bayern-Verteidiger geradewegs in die Kabine. Kein Abklatschen, kein Dank an die Fans, kein Durchpusten - bloß weg hier. Weg von diesem verflixten Champions-League-Abend, der sein Team so durchgerüttelt hatte.

Boateng ist bekanntlich ein Riesenkerl, seine 192 Zentimeter Körpergröße lassen sich schwer verstecken, aber nach dem 1:3 der Bayern im Viertelfinal-Hinspiel in Porto wäre der Nationalspieler am liebsten unsichtbar gewesen. Ging aber leider nicht. Und so wirkte das prompte Verschwinden Boatengs irgendwie sinnbildlich für den Gesamtauftritt des FC Bayern. Die knapp über 50 000 Zuschauer hatten eine Münchner Mannschaft erlebt, die nahe an der Auflösung vorbeischrammte. Übrig blieb nur die Erkenntnis, dass mit diesem Ergebnis zwar nicht alles vorbei, aber doch großer Schaden entstanden ist.

Frappierender als das Resultat selbst war nämlich die Art, wie es zustande kam. Die Bayern hatten reihenweise unerklärliche Dinge fabriziert - vor allem in der Abwehr. "Wir haben hinten drei klare Fehler gemacht, das darf uns nicht passieren", monierte Sportvorstand Matthias Sammer, der als Diagnose lediglich ein verstecktes Gegnerlob zustande brachte: "Das wurde von Porto auch herausgefordert." Drei Gegentore, alle erwirkt durch Tölpeleien in der eigenen Hälfte, das hat es lange nicht gegeben beim deutschen Meister.

Los ging es schon nach 80 Sekunden, als Xabi Alonso sich von Portos Nervensäge Jackson Martínez wie beim Basketball die Kugel klauen ließ und Manuel Neuer zu einem elfmeterreifen (und eigentlich rotwürdigen) Foul zwang. Den Elfmeter drosch Quaresma ins Tor - und das Estadio do Dragão rutschte vor lauter Erbeben tektonisch immer näher Richtung Flussbett. "In der Regel spiegelt das Ergebnis die Leistung wider", erkannte Thomas Müller, "unser Start war denkbar schlecht." Damit meinte er auch den zweiten Lapsus im Aufbauspiel. Dante vertändelte den Ball auf groteske Art gegen Quaresma, der auch das 2:0 erzielte - nach nur zehn Minuten waren alle Münchner Pläne über den Haufen geworfen.

Erklären konnte sich das keiner so recht. Philipp Lahm meinte: "Wir wollen immer hinten raus spielen. Das birgt natürlich Gefahren." Es waren zu große Gefahren. Nach Thiagos Anschlusstreffer zum 1:2 (28.) sah es zwar etwas besser aus, doch es war deutlich zu spüren, dass dieser FC Bayern schwer getroffen in den Seilen hing. Die Verletztenliste, die fehlende Inspiration der Dribbelfraktion um Ribéry und Robben, die physische Unterlegenheit gegen eine kraftvolle, willensstarke Elf aus Porto - all das war nicht zu kompensieren. Als schließlich auch noch Boateng patzte, indem er bei einem weiten Ball Jackson Martínez laufen ließ (65.), war das Bayern-Schlamassel komplett.

"Wenn du hinten einen Fehler machst, hat das andere Auswirkungen als vorne", lautete die Analyse von Thomas Müller - und wer wollte, konnte durchaus Kritik an den Schludrigkeiten der Abwehrkollegen durchhören. Die Münchner bemühten sich zwar im Kollektiv um Optimismus, aber bei genauer Betrachtung dieses Spiels bleibt wenig Hoffnung. "Solche Dinge passieren im Fußball immer wieder", gab sich Matthias Sammer um Mäßigung bemüht, "und bei aller Dramaturgie: Wir sind auch nur Menschen und machen Fehler." Das klang ziemlich resigniert - auch wenn der Sportvorstand noch den schönen Satz sagte: "Ich weiß aber von der Wahrnehmung her, dass wir jetzt nicht die Nerven verlieren."

Eine drastischere Wahrnehmung schien Pep Guardiola zu haben. Während sich die Spieler mit hängenden Köpfen in den Bus schleppten, saß der Bayern-Coach auf der Pressekonferenz und erstaunte mit Aussagen, die sich nach Abschied von der diesjährigen Champions League anhörten. "Vielen, vielen Dank an die Spieler, dass sie heute hier sind und für eine überragende Saison", erklärte der Katalane mit gedämpfter Stimme, "Champions League auf diesem Niveau bedeutet, nahezu perfekt spielen zu müssen." Er wollte damit sagen: Von dieser Perfektion war seine Elf kilometerweit entfernt - und er selbst konnte dagegen noch nicht einmal etwas unternehmen.

Anders als beim vercoachten Halbfinal-Aus gegen Real Madrid im vergangenen Jahr, ist Guardiola diesmal nahezu handlungsunfähig - er hat mit der Mannschaft in ihrem derzeitigen Zustand keine Möglichkeiten mehr, die Ausfälle wiegen zu schwer. Dass Guardiola Mitte der zweiten Halbzeit sogar Boateng ins Mittelfeld beorderte, um seinem Team wenigstens etwas mehr Wucht zu verleihen, verdeutlicht seine Verzweiflung. Ein 2:0 im Rückspiel mag zwar möglich sein, doch echten Glauben konnte kein Münchner mehr vermitteln, schon gar nicht der tief grübelnde Trainer. Es war tatsächlich: zum Davonschwimmen.

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