Süddeutsche Zeitung

FC Bayern im DFB-Pokal:Die Wette des Carlo Ancelotti

Lesezeit: 3 min

Von Martin Schneider

Carlo Ancelotti verachtet das Unerwartete. Seine eigenen Elfmeter zum Beispiel. Als er vor dem DFB-Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund gefragt wurde, ob er denn ein guter Schütze gewesen sei, meinte er: "Ich wollte einmal in einem Finale nach rechts schießen und der Ball ging nach links. Ich war furchtbar schlecht." Die Dinge in eine Richtung zu planen und dann in einer anderen Ecke zu landen - das sollte man als Fußballer vermeiden und als Trainer erst recht.

Die große Frage vor dem möglicherweise letzten großen Spiel der Münchner in dieser Saison ist, ob die Saison des FC Bayern so endet, wie früher Ancelottis Elfmeterversuche. Dass er sie in eine Richtung geplant hat und dann läuft sie doch in eine andere. Der Italiener hatte für seine Mannschaft genau eine Strategie, auf die er alles gesetzt hat, das hat das Spiel in Madrid gezeigt. Nämlich: Vertraue deiner Stammformation, vertraue der alten Garde.

Der Italiener hat es auch mit einigen Tagen Abstand geschafft, dass man das Champions-League-Aus in Madrid nicht mit seinem Namen in Verbindung bringt. Und er hat gute Gründe. Eine plötzliche Verletzungswelle raffte wichtige Spieler dahin. Robert Lewandowski, Jérôme Boateng und Mats Hummels taten sich an verschiedenen Stellen des Körpers so sehr weh, dass man sie an einem - sagen wir - zehnten Spieltag gegen Freiburg eher nicht eingesetzt hätte. Auch Manuel Neuer ging nach seiner Fuß-OP nicht hundertprozentig fit ins Spiel gegen Madrid - jedenfalls deutet sein Mittelfußbruch bei einer eher unspektakulären Aktion darauf hin. Ancelotti kann zu Recht argumentieren, dass seine höchst angeschlagene Mannschaft trotzdem zwei große Spiele gemacht hat.

Man kann aber auch argumentieren, dass Ancelotti teilweise selbst verschuldet eine höchst angeschlagene Mannschaft ins Spiel schicken musste. Die vielen Verletzungen schmerzen auch deswegen so sehr, weil der Italiener die zweite Reihe nicht förderte. Die stille Reserve, das sind Renato Sanches, Douglas Costa, Kingsley Coman und vor allem Joshua Kimmich.

Diese vier Fußballer spielten in der Rückrunde kaum eine Rolle. Auch in normalen Ligaspielen setzte sie Ancelotti nur sehr dosiert ein, Coman etwa in diesem Jahr nur ein einziges Mal über 90 Minuten. Selbst Gladbachs Manager Max Eberl, der über Monate bei den Bayern im Gespräch war, sagte in der Sport-1-Sendung Doppelpass: "Douglas Costa und Kingsley Coman waren vor einem Jahr auf einem anderen Niveau. Gerade sind es nicht die Backups, die Bayern braucht."

Kimmich hätte in Madrid eine Option sein können - Pep Guardiola schlug mit ihm als Innenverteidiger im vergangenen Jahr ein bärenstarkes Juventus Turin. Ancelotti fand aber: Ein angeschlagener Boateng oder ein angeschlagener Hummels sind besser als ein fitter Kimmich. Als ihn ein Reporter fragte, warum diese Spieler so wenig zum Einsatz kommen, meinte der Italiener. "Man muss sehen, dass die älteren wie Robben, Ribéry, Lahm, Alonso eine fantastische Saison gespielt haben."

Ruhe bewahren, die Alten machen lassen. Das kann funktionieren, so lange die Alten fit sind. Der FC Bayern hat mit 23 Spielern zusammen mit Leipzig den kleinsten Kader der Bundesliga - mit dem Unterschied, dass Leipzig den jüngsten (24,3 Jahre) und Bayern den ältesten (27,8 Jahre) hat. Gegen Real Madrid lief mit 30,3 Jahren die älteste Bayern-Elf der Champions-League-Geschichte auf. Ancelottis Plan basierte darauf, dass seine wichtigsten Spieler in der entscheidenden Saisonphase fit sind. Auf Trainingssteuerung angesprochen sagte er: "In Spanien gibt es ein Sprichwort: 'Zu viel Wasser tötet die Bäume.' Unsere Philosophie ist, die Spieler nicht im Training zu killen."

Ancelottis Idee ist umso riskanter, weil sie nicht nur auf diese, sondern auch auf die kommende Saison wettet. Nach dem Abschied von Alonso und Lahm und den wohl ausbleibenden Jungbrunnen für Robben und Ribéry wird er gezwungen sein, auf Alternativen zu setzen. Und mit vier Spielern eine Mannschaft neu aufzubauen, die der Trainer nicht mal als Ergänzung fördern wollte - das wäre schon die ganze hohe Schule der Moderationskunst.

Die Wette von Carlo Ancelotti kann trotzdem noch aufgehen - aber dazu braucht er umso dringender Erfolg und speziell den Erfolg gegen Dortmund. Die setzen nämlich mit Spielern wie Julian Weigl, Ousmane Dembélé, Christian Pulisic oder Felix Passlack voll auf die Zukunft. Und wenn Carlo Ancelotti sie nicht in der Gegenwart schlagen kann, wird es schwierig, seinen Plan zu rechtfertigen.

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