Süddeutsche Zeitung

FC Bayern vor dem Saisonstart:Die Liga rollt den knallroten Teppich aus

Lesezeit: 5 min

Von Klaus Hoeltzenbein, München

Im sonst so sonnigen München regierte zuletzt die schlechte Laune. Jedenfalls ein kleines bisschen. Und dies nur, weil jüngst ein Fußballspiel verloren wurde. Außer solchen Luxussorgen kennen sie ja sonst nicht allzu viele Probleme "in der schönsten Stadt der Welt", wie es einem aus dem Radio in diesem Sommer allmorgendlich auf der Fahrt zum See entgegenschallt.

Und da die schönste Stadt der Welt es in all ihrer Bescheidenheit nur schwerlich erträgt, wenn das Himmelblau über der Stadt nicht mit den Resultaten des FC Bayern korrespondiert, der bekanntlich nichts weniger als der weltbeste Fußballklub sein will, zogen Gewitterwolken auf. Denn: Gegen Wolfsburg darf man einfach nicht verlieren! Schon gar nicht zwei Mal hintereinander, ein halbes Jahr zuvor hatte es dort oben in Niedersachsen ja schon ein bitteres 1:4 gegeben.

Auch deshalb ist da zum Saisonstart dieses Reizklima, dieses vernehmliche Granteln. Was naturgemäß auch am Trainer liegt, an Pep Guardiola, der nicht gerne zwei Mal beim VfL Wolfsburg verliert, erst in der Liga, jüngst in diesem verflixten Supercup. Der Supercup erschien in grauer Vorzeit derart überflüssig, dass er von 1997 bis 2009 gar nicht erst ausgetragen wurde. Nun aber sollte ein Signal gesetzt werden: dass die Bayern bereit sind! Dass alles, was sich ihnen an Trophäen in den Weg stellt, auch eingesammelt wird in der neuen Spielzeit. Auch weil nicht wenige (genauer: fast alle!) meinen, dass diese dritte auch die letzte Saison sein dürfte unter der Regie von Guardiola.

Bayern strebt nach viertem Titel in Folge

Dieser verweigert zum Thema jede Auskunft ("Nächste Frage, bitte!"). Zwar ist aus seinem Umfeld, das immer noch in der ebenfalls nicht gar so hässlichen Stadt Barcelona beheimatet ist, zu vernehmen, dass sich der Vollblut-Katalane eigentlich relativ wohl fühle an der Außenstelle München, nur: Weil er sich weigert, zu erklären, ob er über den Sommer 2016 hinaus bleiben will, steht er in jenem Teil des Freistaates, der dem FC Bayern anhängt, unter Verdacht von Hoch- wie Landesverrat.

Und dies, obwohl die Bayern erst im Mai wieder deutscher Meister wurden. Doch dieser Titel scheint inzwischen eine Art Erbrecht zu sein - die Münchner wollen ihn jetzt bereits zum vierten Mal in Serie gewinnen (zum dritten Mal mit Guardiola). Und aktuell ist am Horizont kaum ein guter Grund zu erkennen, weshalb der Rekordversuch nicht gelingen sollte.

Denn übersehen wurde - trotz Donnern und Blitzen - gleich mehrerlei. Zum einen, dass es selten zu einem so frühen Zeitpunkt in der Saison in Deutschland ein so hochwertiges, kampfbetontes Fußballspiel zu bestaunen gab wie dieses erst im Elfmeterschießen von Wolfsburg entschiedene Supercup-Duell. Objektiv hätte es auch als ein Qualitätssiegel für die Bundesliga gewertet werden können. Weil jedoch Guardiola ob der Niederlage höchst angespannt wirkte, dominierte eine andere Frage: Ob nicht der FC Bayern schon vor dem Saisonstart implodiert?

Verbunden war dies ja alles noch mit einem weiteren Thema. Lässt der FC Bayern, dieser Stellvertreter der Kultur eines kompletten Bundeslandes, mit dem - aus freien Stücken - nach England übergelaufenen Bastian Schweinsteiger, 31, nicht doch den Kern seiner Identität kampflos ziehen? Diese These wird heute schon nicht mehr gar so scharf ins Feld geführt. Zumal es so aussieht, als habe das Publikum bereits ein paar neue Lieblingsgladiatoren gefunden. Jedenfalls scheinen die Einkäufe in der 30- bis 40-Millionen-Euro-Preisklasse zu sitzen, in der sich der FC Bayern inzwischen ständig engagiert.

Der Brasilianer Douglas Costa rast jetzt über beide Flügel, so dass die alte Zange Robben & Ribéry etwas mehr Zeit haben dürfte, das Knirschen und Knarzen der müden Knochen zu kurieren. Und der Chilene Arturo Vidal ist zwar auch schon 28, aber offenbar ein nimmermüdes Gummimännchen, das in der Teamhierarchie weit oben den Schweinsteiger-Platz beanspruchen dürfte.

Spielplan spricht für Bayern

Transfers sind Spekulationsgeschäfte, doch die Bayern, da gibt es momentan in der Liga keine zwei Meinungen, haben clever gehandelt. Das mündet in einer Feststellung: Nie zuvor in der bald 53-jährigen Ligageschichte ist ein Klub mit einem breiteren, qualitativ hochwertigeren Kader in die Saison gezogen.

Einen Beleg dafür lieferte jüngst ein Testspiel mit dem einstmals so furchterregenden AC Mailand. Eine erste Bayern-Elf besiegte Milan vor der Pause 1:0; eine zweite Bayern-Elf siegte nach der Pause mit 2:0. Gleich fünf der Champions-League-Sieger von 2013 (Torwart Neuer, Robben, Ribéry, Badstuber, Martínez) waren aus diversen Gründen nicht einmal dabei.

Wer trotzdem glaubt, dass sich das alles relativieren wird, sobald es in der Liga wieder ernst wird, wer glaubt, die Zeit sei endlich vorbei, in der die Münchner mit zweistelligen Vorsprüngen ins Ziel kommen (2013: 25 Punkte; 2014: 21; 2015: 10), der hat den neuen Spielplan nicht studiert. Nicht allein, dass an diesem Freitag ausgerechnet der Hamburger SV der Eröffnungsgast sein wird - der es aber vermutlich doch ein wenig spannender machen dürfte als zuletzt beim 0:8 oder beim 2:9.

Mittelstürmer Lewandowski statt einem freischwebenden Messi

Nein, der Spielplan wirkt geradezu so, als habe Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge den Computer der Deutschen Fußball Liga (DFL) persönlich manipuliert. Nicht nur, dass zuerst der als devot bekannte HSV kommt, nein, die Münchner haben von den ersten vier Spielen gleich drei zu Hause. Auch die vermuteten Spitzenteams aus Leverkusen, Wolfsburg und Dortmund werden in der Hinrunde alle in der weltschönsten Stadtarena erwartet. Erst Ende November, am 13. Spieltag, steht für die Münchner ein Topspiel bei einem Topklub (Schalke) auf dem Dienstplan.

Da hat die Liga offenbar einen knallroten Teppich ausgelegt.

Gewiss, der muss erst begangen werden, aber wer Drama in ein Manuskript bringen will, kann auch anders planen. Denn laut Papierform stellt die Liga den Bayern den kompletten Herbst zur Verfügung, um das dortige Reizklima wieder etwas zu beruhigen. Die Befürchtung ist ja jetzt doch die, dass sich die Münchner - wie bei den drei Meistertiteln zuvor - alsbald ein Punktepolster anfressen. Auf dem sich die späte Saison, wenn eigentlich ein dramatisches Finale anstehen sollte, dann kräfteschonend verwalten lässt.

Jedenfalls sieht es so aus, als habe Trainer Guardiola, 44, genügend Spielraum bekommen, an allen Stellschrauben zu drehen. Ein System zu perfektionieren, in dem die in der vorigen Saison bisweilen brüchige Balance zwischen Defensive und Offensive wieder gefunden wird. In dem im Gerd-Müller-Land der von Guardiola nicht gar so sehr geschätzte Posten des Mittelstürmers besser zur Wirkung kommt - schließlich verfügt der Kader in Robert Lewandowski über einen Angreifer von höchstem internationalen Rang.

Guardiola operiert eigentlich lieber mit freischwebenden, flexiblen Angreifern, so wie einst beim FC Barcelona. Dort aber hatte er Lionel Messi. Ehe es nun zur nächsten Begegnung mit dem argentinischen Dribbelfloh kommen kann, dauert es noch ein Weilchen. Doch natürlich wird die Champions League zu jener Ebene, auf der am Ende die Bilanz der Pep-Ära gezogen wird.

Zweimal, gegen Real Madrid und Barcelona, waren die Bayern im Halbfinale nahezu chancenlos. Auf Champions-League-Niveau jedoch haben sie auch jenes Spiel gezeigt, in dem am klarsten deutlich wurde, wie Guardiola sich seinen Fußball in Perfektion vorstellt: Es war jenes 3:1 bei Manchester City, bei dem die von Minute zu Minute zorniger werdenden Briten nur dann an den Ball durften, wenn sie den Anstoß ausführten. Das war im Herbst 2013 - und ist somit eine Ewigkeit her.

Zornige Münchner erzielen die besten Resultate

Nachdem in der Saison 2014/15 dann die Folgen der WM in Brasilien und eine erstaunliche Verletzungswelle überspielt werden mussten, kommen auf Guardiola jetzt noch zwei Reizthemen hinzu: 1.) Wie hält er seinen Luxuskader bei Laune, wie die prominenten Reservisten? 2.) Welche Antwort wird er Bayern-Chef Rummenigge geben, sobald dieser ihn im Frühherbst konkret mit der Frage nach der Vertragsverlängerung konfrontiert?

Stolperfallen sind also vorhanden. Nur: Können dadurch Vorteile für die Konkurrenz entstehen? Höchst fraglich ist das. Und historisch kaum zu stützen. Denn ihre sportlich besten Resultate erzielten die Münchner oft dann, wenn sie sich gefordert fühlten, wenn es um sie herum gewitterte. Dann grollte einst Paul Breitner. Dann lief über die hohe Stirn des Franz Beckenbauer diese legendäre Zornesfalte. Und Stefan Effenberg fluchte gegen die "Freunde der Sonne", wie er Kritiker nannte, ehe er ein bisschen Zorn und Feuer spie.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2015
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