Süddeutsche Zeitung

Stephan Lichtsteiner:Ist da jemand?

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Von Sebastian Fischer, Augsburg

Er hatte fast eine Halbzeit in der Bundesliga gespielt, da, musste Stephan Lichtsteiner spätestens gemerkt haben, wo er gelandet ist. Der neue Rechtsverteidiger des FC Augsburg, der die vergangenen Jahre bei Juventus Turin und dem FC Arsenal verbracht hat, der 105 Spiele für die Schweizer Nationalmannschaft bestritt, stand zum Einwurf in der gegnerischen Hälfte.

In den vergangenen Jahren wäre nun vielleicht Andrea Pirlo angelaufen gekommen, um den Ball haben zu wollen, oder wenigstens Pierre-Emerick Aubameyang. Nun kam niemand. Lichtsteiner ruderte mit den Armen. Er schien zu fragen: Ist da jemand? Nach ein paar Sekunden kam dann Daniel Baier, er kontrollierte den Ball kurz. Dann versprang er ihm ins Toraus.

Der FC Augsburg hat am zweiten Spieltag 1:1 gegen Union Berlin gespielt, es war der erste Punktgewinn der Saison, aber es waren die Gäste, die in Augsburg feierten. Die Fans aus Berlin besangen den ersten Bundesligapunkt in der Vereinsgeschichte noch lange nach dem Schlusspfiff. Es war das Spiel zweier Mannschaften, die es in dieser Saison schwer haben könnten, die Klasse zu halten, für Union ist das als Aufsteiger logisch. Und für Augsburg, das war die Erkenntnis des Nachmittags, wird es trotz prominenter Zugänge erst mal so bleiben. "Wir brauchen noch ein bisschen Entwicklung, noch ein bisschen Zeit", sagte Trainer Martin Schmidt hinterher. Und: "Die Schritte sind klein."

Trainer Schmidt spricht von "Kampf und Krampf"

Zwei scheinbar große Schritte hatte der Klub unter der Woche gemacht, er hatte den nach seinem Vertragsende in London vereinslosen Lichtsteiner für ein Jahr verpflichtet und Tin Jedvaj von Bayer Leverkusen ausgeliehen, um die beim 1:5 zum Auftakt in Dortmund offensichtlich poröse Defensive zu stärken. Lichtsteiner, 35, und Jedvaj, 23, standen dann auch gleich von Beginn an in der Viererkette. Jedvaj spielte viele lange, eröffnende Pässe, Lichtsteiner gab Anweisungen und gewann die meisten seiner Zweikämpfe souverän.

Doch es war eher die Armut an Torchancen als die Sicherheit in der Abwehr, die im Augsburger Spiel auffiel. Schmidt sprach von "Kampf und Krampf", zumindest in der ersten Halbzeit, von fehlender Tiefe und dem oftmals "falschen Rezept": zu wenig Flügelspiel, zu viele lange Bälle. Und sein Schweizer Landsmann Urs Fischer, Unions Trainer, sprach durchaus verständlicherweise davon, dass der Rückstand nicht zum Verlauf der Begegnung gepasst hatte.

59 Minuten waren vorbei, als Augsburgs fleißiger Mittelstürmer Florian Niederlechner den Ball in Flügelstürmerposition gegen Keven Schlotterbeck behauptete und in die Mitte passte, wo er Ruben Vargas fand, ebenfalls neu und einer von elf Zugängen in diesem Sommer. Vargas, Schweizer U21-Nationalspieler, traf mit der ersten richtigen Augsburger Torchance des Nachmittags. Niederlechner hätte beinahe das 2:0 nachgelegt, er schoss knapp vorbei. Aber danach waren es wieder die Berliner, die das Spiel dominierten. Und Augsburgs Viererkette, in der links auch erstmals nach Verletzungspause Philipp Max verteidigte und damit in Innenverteidiger Rani Khedira nur ein Spieler, der gegen Dortmund auf dem Platz gestanden hatte, wirkte trotz Verstärkungen wieder unsicher gegen die physisch starken Berliner, die in Sebastian Polter und Sebastian Andersson zwei große Stürmer einwechselten. Sogar Lichtsteiner wirkte jetzt nicht mehr ganz so sicher. Und Jedvaj spielte den Fehlpass, der in der 80. Minute zum Konter führte, nach dem gegen eine unsortierte Augsburger Abwehr der Ausgleich durch Andersson fiel, vorbereitet von Polter. Obwohl Union nach einer roten Karte für Schlotterbeck rund zehn Minuten zu zehnt spielte, gelang Augsburg kein Treffer mehr.

Jedvaj und Lichtsteiner, sagte Trainer Schmidt, würden der Mannschaft sichtlich mehr Qualität und eine bessere Mentalität verleihen, eine gute Struktur zudem. Aber es fehle eben noch die Abstimmung, es fehle auch noch die Wettkampfhärte. "Die Beine waren noch nicht da, wo sie sein sollten für so ein Spiel", sagte Lichtsteiner selbst. Und er sprach auch von einer "großen Herausforderung". Gegen den Abstieg aus der Bundesliga zu kämpfen, so etwas hat er in seiner langen Karriere ja noch nie gemacht.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2019
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