Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Favres Trendwende

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Der BVB-Trainer hat sich offenbar auf die Taktik-Vorschläge von Mannschaftsrat und Management eingelassen. Diese späte Kompromissbereitschaft muss man als große Stärke werten.

Kommentar von Freddie Röckenhaus

Wer Lucien Favre am späten Dienstagabend über den Rasen im Dortmunder Stadion stieben sah, konnte den Augen kaum trauen. War das Christopher Lloyd als genial-zerstreuter Ingenieur Doc Brown im Film-Klassiker "Zurück in die Zukunft"? Die Haare zu Berge - und völlig losgelöst auf der Zeitreise? Oder war es Borussia Dortmunds spröder, zaudernder Schweizer Fußballlehrer? Man wusste es nicht.

Jedenfalls wirkte Favre schon während des Spiels, des 2:1-Sieges des BVB gegen Slavia Prag, als habe er versehentlich den Zeigefinger in die Steckdose gesteckt. Wie er da im Rahmen seiner Möglichkeiten mitfieberte, anfeuerte, dirigierte, das erinnerte nicht an den wuchtigen Jürgen Klopp, aber es wärmte doch so manches Herz. Verrückte Wissenschaftler haben eben etwas Niedliches.

Dortmunds eher robuster Sportdirektor Michael Zorc hob den schmächtigen Favre nach Abpfiff in die Höhe. Man hatte den Eindruck, dass Favre spätestens da den Bodenkontakt endlich mal verlor.

Für Dortmund bedeutete der Abend den zehnten Einmarsch ins Achtelfinale der Champions League. Allein diese Statistik ist Gold wert, denn als internationaler Topklub kann der BVB sich bekanntlich selten durch nationale Titel profilieren (die meist der FC Bayern gewinnt). Vom finanziellen Gewinn zu schweigen, weil ein Weiterkommen mit einem Millionen-Euro-Bonus verbunden ist.

Vor allem aber war das 2:1 der dritte Pflichtspielsieg in Folge, zum zweiten Mal in Unterzahl erkämpft (in Berlin flog Mats Hummels vom Platz, jetzt Julian Weigl). Für eine Mannschaft, die sonst eher den Friedensengel der Liga gewinnt, ist das eine Randnotiz, die manche in Dortmund sogar als gutes Zeichen werten. Wer es mit dem Pazifismus im Fußball übertreibt, gewinnt zwar die Fairnesstabelle, aber nie einen Titel.

Die neue Taktik entspricht nicht unbedingt Favres Kontroll-Credo

Für Favre haben die drei Siege, vor allem der gegen Prag, eine Trendwende gebracht. Favre hat sich offenbar auf die dringlichen Vorschläge von Mannschaftsrat und Management eingelassen. Die Siege gehen einher mit einem Taktikwechsel, der nicht unbedingt seinem Kontroll-Credo entspricht: Dreierkette, zwei hoch stehende Außenverteidiger, im Zentrum nur noch ein defensiver Sechser (diesmal Julian Weigl), davor Julian Brandt, der in der neuen Rolle als "Sechser bis Zehner", wie es in Dortmund heißt, regelrecht sprüht vor Einfällen und Spiellaune, davor drei offensive Stürmer. Dass Favre nun mit einer Taktik aus der Krise schaukelt, die er wohl nur mit Unbehagen umarmt hat, ist bemerkenswert. Man muss diese späte Kompromissbereitschaft von Favre als große Stärke werten.

Favre, 62, war früher bekannt dafür, dass ihn seine Sportmanager schon mal aus dem Flugzeug oder Zug holen mussten, weil er bei Unbehagen vom Arbeitsplatz desertieren wollte. Das scheint in Dortmund anders zu sein. Der Trainer hat im letzten Jahr manchen Spielern etwas beigebracht, er scheint sich jetzt darauf einzulassen, selbst etwas an seinen Denkstrukturen zu ändern. Das können nicht viele Menschen in diesem Alter. Das BVB-Management hat sich vor Wochen, als es heftig kriselte, dazu entschlossen, mit dem Trainer, der nicht zum Stil des Kaders und des Klubs zu passen schien, irgendwie weiter zu wurschteln. Auch mangels Alternative, aber auch aus einer wohltuenden Menschlichkeit heraus. Kann sein, dass sich das nun tatsächlich auszahlt, für Favre und für den BVB.

Aber wie das so ist, bei den Zeitreisen des Doc Brown: Man weiß nie, wo man am Ende rauskommt aus dem Tunnel.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2019
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