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Englische Klubs im Europapokal:Die Ära der Premier League könnte beginnen

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Liverpool, Tottenham, Chelsea, Arsenal: Vier englische Teams stehen sich in zwei Europapokal-Endspielen gegenüber. Die Klubs von der Insel machen gerade manches richtig.

Kommentar von Javier Cáceres, London

Die wendungsreichste Champions-League-Saison der Geschichte beurkundet nun auch eine Götterdämmerung: Erstmals seit 2013, seit dem Endspiel zwischen dem FC Bayern und Dortmund, findet das Finale des wichtigsten kontinentalen Fußballwettbewerbs ohne Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi statt, ohne die Weltfußballer der letzten Dekade. Stattdessen im Endspiel von Madrid: zwei von nicht-englischen Trainern geführte Premier-League-Teams, Mauricio Pochettinos Tottenham Hotspur - und Jürgen Klopps FC Liverpool.

Wie sehr es sich bei beiden Finalisten um Autorenteams handelt, zeigte sich an den Umständen ihrer Halbfinal-"Wunder". Beide vollzogen sich ohne sogenannte Top-Stars: Tottenham setzte sich gegen Ajax durch, obwohl Torjäger Harry Kane gar nicht und der Koreaner Son nur im Rückspiel auflaufen konnten; Liverpool rang Barça ohne Mo Salah und Roberto Firmino 4:0 nieder. Es schlug die Stunde der Komparsen: Liverpool wurde von Wijnaldum & Origi, Tottenham von Lucas Moura nach Madrid katapultiert.

Ist dieses Finale also ein Zeichen, dass die schon oft ausgerufene, meist kassandrahaft angekündigte Ära der Premier League nun wirklich beginnt? Zumal das Finale in der Europa League ebenfalls zwei englische Teams bestreiten, Chelsea und Arsenal?

Liverpool hätte in Barcelona ein 0:4 kassieren müssen

Möglich ist das. Alle Finalisten haben enorme Finanzmittel zur Verfügung. Aber wie hoch ist in Wahrheit der Wert ihres Geldes? Tottenham verzichtete wegen des Stadionbaus vor der Saison auf Zugänge und entwickelte den Betrieb mit Bordmitteln weiter; Liverpool investierte zuletzt nur in strategische Zugänge wie Verteidiger van Dijk und Torwart Alisson, um die angelegte Spielidee zu veredeln. Zudem: Es ist nicht das erste Mal, dass zwei englische Teams im Finale stehen. 2008 gewann ManUnited gegen Chelsea. Danach folgte eine von Inter Mailand (2010), Chelsea (2012) und Bayern (2013) kurz unterbrochene spanische Tyrannei.

Diese basierte auf einer spanischen Fußballschule, die 2018 nach dem WM-Sieg der Defensivstrategie Frankreichs für beerdigt erklärt wurde. Es hieß: Ballbesitzfußball ist tot! In der Champions League war nun zu bestaunen, dass diese Idee in abgewandelter Form überdauert hat. Wenn man die Halbfinalisten, auch Liverpool und Tottenham, über einen Kamm scheren will, dann über diesen: Sie verteidigen sich mit dem Ball - und suchen Offensivspektakel. Es überraschte aber auch kaum, dass sich Tottenham und Liverpool in Spielen durchsetzten, die physisch und psychisch fordernd waren. Beide bewiesen eine extreme Stressresistenz, die in der hart umkämpften Premier League gestählt wurde. Viele Male hat dort die Tabellenführung gewechselt. Liverpool ist mit nur einer Niederlage Zweiter hinter ManCity und dem nicht nur in Deutschland gern verlachten Pep Guardiola; Tottenham ist Vierter.

Wer jetzt aber die totale englische Dominanz ausruft, der sei daran erinnert: Liverpool hätte in Barcelona ein 0:4 kassieren müssen - und Tottenham kam gegen Ajax erst in der 96. Minute zum 3:2. Chelsea rang Frankfurt in der Europa League sogar erst im Elfmeterschießen nieder. Ein Teil der Wahrheit war also auch Glück. So hat der Europokal im Halbfinale einen britischen Akkord erzeugt, der dramatisch klang - und herrlich war.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2019
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